Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Sonst macht es einfach ein anderer

∞  23 Juni 2010, 18:54

Wenn ich es nicht mache, macht es ein anderer an meiner Stelle.” Ein häufiger Ausspruch, der besonders gern von Protagonisten eines Berufes gewählt wird, in dem der Rubel gerade besonders schön rollt und die Verdienstmöglichkeiten boomen.
Die Aussage ist aus der persönlichen Warte verständlich, aber sie ist auch entlarvend:

Irgendwo waren mal Skrupel, aber die ganze Welt um mich herum würde mich nur auslachen. Das System rollt auch ohne mich, bin ich nicht da, verdient sich meinen Job jemand anders. Es ist dasselbe, wie wenn sich der skrupellose Verkäufer damit rechtfertigt, dass es für sein fragwürdiges Produkt oder für den unverschämten Preis ja am Ende Käufer gibt. Man ergreift nur Möglichkeiten, die andere auch wahrnehmen würden. Punkt.
Es ist dies das, was man im Zusammenhang mit Wertschriftenhändlern gerne mit der Söldnermentalität umschreibt: Der Krieg wird eh geführt – wenn ich daran nicht teilnehme, tun es andere. Und sie tun es womöglich mit weniger “Sachverstand” als ich. Die Legitimation und das Bewusstsein, auch noch ein guter Söldner zu sein, wird gleich um die Ecke reklamiert.
Und Skrupel kann sich der Krieger eh nicht leisten. So lange die Schlacht tobt, bleibt keine Zeit mehr zum Überlegen. Und damit auch keine Gelegenheit, sich selber eine Gegenfrage zu stellen:

“Warum mache ich, was alle anderen auch machen? Will ich vor mir selbst austauschbar werden?”

Es bräuchte eben genau auch in solchen Positionen Menschen, die wieder Persönlichkeiten sein wollen, die auch mal eine Zwischenfrage stellen – oder zumindest nach aussen reflektieren. Erneuerung aus dem System heraus ist nicht weniger utopisch als so manche Kritik von aussen.

Schlussendlich müssen wir uns doch in allem, für das wir Geld nehmen, überlegen, ob wir uns damit verkaufen, oder den Auftraggeber, oder ob Gegenwert und Gehalt in einem gewissen Gleichgewicht stehen. Dass diese Balance sehr viel mehr mit uns zu tun hat, als das Bankkonto, das zu wenig oder zu sehr gefüllt ist, das kann man wieder lernen. Oder noch besser, man kann es auch gar nicht erst vergessen.