Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


So ein Spaziergang

∞  4 Januar 2008, 16:14

Ein kalter Wintertag. Aber die Biese ist nurmehr ein Hauch und vermag das Wasser kaum mehr zu bewegen. Ruhig treiben die Enten mehr auf dem Wasser, als dass sie schwimmen. Hochnebelfetzen hängen von den Voralpen ins Tal und berühren am Ufer den Horizont. Darüber grüsst ein Kirchturm und gaukelt ewige Standfestigkeit vor. Vertrauen liegt über dem See, stilles Leben, das sich seinen Atem einteilt. Die Planken des Steges auf dem Wasser wippen auf und nieder, wenn ein Fussgänger die eigene Einsamkeit kreuzt, ohne sie zu zerschneiden. In mir legen sich alle Wogen, genau so, wie das Wiegen der Planken leiser wird.
Ich wende mich der Stadt Rapperswil zu. Ein Mann kommt mir entgegen. Er schiebt einen Rollstuhl vor sich her. Der Mann, der darin sitzt, ist dick eingepackt, doch aus seinem Anorak ragt ein dürrer langer, schutzlos nackter Hals. Ich kann sein Gesicht nicht sehen. Der Kopf ist unnatürlich nach hinten gebogen, der Blick steif gen Himmel gerichtet. Meine unsicheren Augen suchen den Begleiter, der den Rollstuhl an mir vorbeischiebt. Wir nicken uns an. Ich sage guten Morgen und gehe weiter. In meinem Hirn arbeitet es: Warum habe ich nicht „Grüezi mitenand“ gesagt? Ich habe nur den gesunden Mann gegrüsst!

*


Ich schlendere durch die alten Gässchen Rapperswils. Kopfsteinpflaster massiert meine langsam klammen Sohlen. Vor dem McDonalds hocken unverdrossene Jugendliche an den Holztischen, die Burger wie Picknickbrote in der Hand. Ich habe keine Eile, und obwohl ich sehr stark mit mir selbst unterwegs bin, nehmen meine dankbaren Augen die Zeit wahr, die wie ich langsamer zu schlendern scheint, als gewöhnlich. Aus der Unterführung kommt mir ein junger Bursche entgegen, vielleicht fünfzehn Jahre alt. Er trägt eine dünne Jacke und einen Schal. Um seinen Hals baumelt eine Spiegelreflexkamera mit offenem Objektiv. Ein Lichtstrahl bricht sich darin. Ich sehe in sehr dunkle und sehr wache Augen unter dichtem, pechschwarzem Haar. Es liegt ein Leuchten darin, eine Lust auf Entdeckung und die Gewissheit, dass dies ein spannender Tag ist. Ich grüsse nicht, gehe vorbei. Aber ich glaube, ich habe gelächelt. Und ich bin sicher, er hat es gesehen.

Bild: rapperswil.ch