Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Sippentreffen

∞  18 Juli 2013, 20:36

Beerdigungen sind Verwandtschaftstreffen, bei denen man bemerkt, wie viele Jahre schon wieder ins Land gezogen sind. Menschen, die ich zwanzig Jahre nicht gesehen habe sind freundlich zu einander. Auch zu mir.

Ich schaue in die Gesichter und auf die Figuren und entdecke Ähnlichkeiten noch und noch. Blutsverwandtschaft lässt dich nicht unbedingt näher zu den Menschen rücken, aber es gibt da eine Bande, die man umgekehrt auch nicht ablegen kann. Muss ich auch nicht. Ein Mysterium ist es mir trotzdem, vielleicht auch, weil ich viele Erinnerungen meines fast ein Jahrzehnt älteren Bruders nicht teilen kann. Ich bin der Nachzügler, und bei seinen lebendigsten Erlebnissen mit der Verwandtschaft war ich der Kleine, schon im Bett oder anwesend, zwar gemocht aber nicht wirklich dabei. Ich kann nicht teilen und höre staunend zu. Ein gewisses Bedauern schwingt dann mit, aber es ist einigermassen flüchtig, denke ich, auch diesmal, denn wir alle sind nun wieder in unsere Leben zurückgekehrt, nachdem wir eines verabschiedet haben. Sollten wir keine Heimat haben, an der wir selbst mit gebaut haben, und die sich unabhängig gemacht hat von der späten oder frühen Geburt hinein in eine Blutsgemeinschaft, so wäre da vielleicht wirklich eine Not. Uns allen ist zu wünschen, dass wir diese Nester haben, finden oder neu bauen können. Denn die Geborgenheit eines wirklich liebenden Menschen ist die grösste Hilfe im Versuch, sich mit seinem Leben zu versöhnen, mit seinen Schwächen auch, und sich an seinen Stärken aufzurichten.

So hat denn Verwandtschaft seine Ordnung, ein bisschen Bedeutung, ohne bestimmend für unser aller Leben im Jetzt zu sein. Wir haben gemeinsame Geschichten angehäuft, vor allem aber auch eigene geschrieben, Liebe erlebt und geschenkt, sind an ihr gewachsen oder dabei gescheitert, scheinbar. Immer aber war da Arbeit an uns selbst, wurde gemeisselt und gezimmert an unserem Gerüst, und da, wo wir blind sein wollten, hat uns manchmal der Fährtenlenker gezeigt, wo der Hammer hängt.

So hat alles seine Ordnung. Und es ist schön, dass es Tage gibt, an denen ich das so gut erkenne wie heute. Gerade heute.