Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Sie und ich, einfach spannend. Und Punkt.

∞  30 Januar 2009, 06:57

Wir lernen, was wir alles können, nein, dass wir ALLES können. Die Kraft des positiven Denkens. Ich bin o.k. und Du bist o.k. Und wie die guten Ratgeber alle heissen, die uns von Krebs heilen durch Autosuggestion, allem einen Sinn geben und sich schlussendlich aber eigentlich immer aus einem Grund verkaufen lassen: Sie versprechen ein erfolgreiches Leben.


Immer geht es darum, dass wir strahlend weiss und bewundert am Ende gar nicht anders können, als uns unwiderstehlich zu finden, weil das alle anderen auch tun. Praktisch daran ist zudem, dass wir noch überhaupt niemandem dafür dankbar sein müssen, denn wir bewirken es selbst. Wenn heute ein Sportler gefragt wird, warum er gesiegt hat, dann werden Sie mit Garantie von ihm hören, dass er “ganz hart dafür gearbeitet hat”.
Da haben Sie’s. Wären Sie mal selbst nicht so eine faule Nummer, Sie könnten schlichtweg alles erreichen. Sie stehen sich nur selbst im Weg.

Tja. Alle diese Erfolgreichen haben es geschafft. Und sie nicht. Richtig. Ich habe “HABEN” geschrieben. Denn darum geht es in allen diesen Selbstbeweihräucherungspostillen: Sich gut reden, in den Erfolg autosuggestieren und am Ende jeden Blödsinn glauben, den irgendein Positivismus-Guru irgendwo auf Papier geschrieben hat. Wenn Sie tatsächlich ganz viel Pech haben, überlisten Sie sich selbst damit, sie gewinnen ein paar Pokale im Leben und beginnen sich wirklich einzubilden, sie hätten damit die Kurve für immer gekriegt. Bis dann eines Tages ein Tag kommt, der sie aus dem Bett fallen lässt und an dem gar nichts so funktionieren will, wie Sie es sich gedacht haben. Erfolg ist wie Äther. Bevor er entflieht, kann er ihnen noch gehörig die Sinne vernebeln. Aber es schleckt keine Ziege weg: Sie werden alt. Sie bekommen Falten. Sie urteilen vielleicht mal falsch. Sie sind nicht mehr Mainstream. Ihre Geschichten werden älter. Und die Menschen, die sie noch hören wollen, auch.

Darum ist es gar nicht schlecht, wenn Sie diesen Hokuspokus gar nicht erst mitmachen. Denn, genau, es stimmt: Sie haben heute schon Falten. Oder vielleicht ähnliche Altersflecken wie ich auf den Handrücken. In einem Alter, in dem die da doch wirklich überhaupt nichts verloren haben. Sie bringen vielleicht die Lippen partout nicht auseinander und schaffen es einfach nicht, sich mal Gehör zu verschaffen. Oder Sie reden ständig zu viel. Sie mögen sich nicht? Ich mich oft auch nicht.

Aber lassen Sie uns doch mal gemeinsam nachfragen, wo denn das herkommt, dieses “Nichtmögen” Ihres Wesens? Warum mag ich mich nicht, wenn ich in den Spiegel schaue? Stehe ich denn wirklich alleine vor dem Lavabo am Morgen? Schaut mir nicht vielmehr der viel juvenilere Nachbar mit dem noch immer schwarzen Haar über die Schulter, der Lehrer, der nicht an mich glaubte, die Eltern, deren Erwartungen hoch waren und irgendwie immer noch sind? Nicht wir schauen uns an, im Spiegel, sondern es ist Summe aller jener Vergleiche in unserem Hirn, nach denen wir unser Leben in einer Art irrem stillem Wettbewerb ausrichten, in dem wir alle verbissene Kämpfer um einen Pot sind, der stets zu hoch hängen wird. Früher oder später zumindest.

Ich behaupte mal ganz frech: Ohne dass ich Ihnen eine einzige dieser Zeilen schreiben würde, wüssten Sie es im Grunde Alle viel besser:
Das ist alles gequirlter Kuhmist. In Ihnen drin, in Ihrem tiefsten Innern wissen Sie es genau: Sie sind ohne Ihre Schwächen nicht vollständig. Sie sind nur mit ihnen ganz. Und Sie leben nur dann ein zufriedenes, selbstbestimmtes Leben, wenn Sie sich in Ihren Schwächen auszuhalten lernen. Ja, sie sind sogar unverzichtbar. Feen sind Fabelwesen. Und es ist gut, sind Sie keines, sind Sie aus Fleisch und Blut. Denn dann können Sie von anderen Menschen mit Haut und Haaren und Fehlern geliebt werden. Und nicht nur bewundert.

Wir können von einander dieses Hören auf die innere Bereitschaft der Selbstannahme nicht wirklich lernen. Wir müssen das selbst leisten. Aber wir können uns darin bestärken. Und damit aufhören, den scheinbaren Autoritäten, die uns den Zugang zum friedlichen eigenen Umgang mit unseren liebenswerten Unzulänglichkeiten verbaut haben, länger einfach so zu glauben. Denn wenn wir uns ein bisschen konzentrieren, dann werden wir uns daran erinnern, wie wir als Kinder diesen falschen Ansprüchen aus dem innersten Antrieb heraus spontan widersprechen wollten: “Es ist nicht wahr, was über mich und mein Soll gesagt wird.”
Und wenn es wahr ist, so hat es nicht diese Bedeutung. Es ist ein Teil von mir. Es ist nicht wahr, dass ich keine Falten haben darf. Dass mein Charakter keine Dellen aufweisen, ich nicht schwermütig sein darf.

Nicht die Wahrheit über mich tut wirklich weh. Sondern die Rezepte, die man mir dagegen verschreibt, sind oft vom Teufel. Was nicht sein darf, verursacht die grossen Schmerzen, mit denen ich nicht umgehen kann. Aber ich kann lernen, mich auszuhalten. Wenn ich in Krisen mich aushalten kann, wenn ich sie ertrage und nicht wegfabuliere, dann lerne ich Stück für Stück dazu und komme mir näher. Ich kann niemals mehr erreichen, als wahrhaftig mich selbst zu sein. Und ich werde und bin je mehr Mensch, je eingehender ich in mir zu ruhen lerne, fern jeden Versuchs, anderen gefallen zu wollen – aber nie ohne das Bemühen, vor mir selbst Gnade zu finden. Gelingt mir der Blick in den Spiegel mit den eigenen Augen, so werden diese je länger je mehr einen ganzen und richtig spannenden Menschen entdecken.





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