Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Sensation Verzascatal und Carl Hirschmann

∞  10 September 2011, 18:42

Wir sind heute durchs Verzascatal bis nach Sonogno hoch gefahren und haben an verschiedenen Stellen die Wildheit und den besonderen Zauber dieses Flusses bewundert – mit in allen Farben schimmernden Felsquadern, abgeschliffen von ewig fliessenden türkisen Wasserströmen. Und kein anderer Fluss wirkt so einladend – und birgt doch so viele Gefahren…

Wenn man ein solches Bergtal besucht, so bekommt man eine Ahnung, wie schnell eine nur ein bisschen unwirtliche Natur den modernen Menschen zu vertreiben vermag – in Tenero, vorne, am Talausgang, haben sie eine Umfahrungsstrasse gebaut, weil der grosse Zeltplatz so viel Verkehr mit sich bringt, dass nach dieser Massnahme gerufen wurde. Ins Verzascatal aber kommen sie tageweise, für den schnellen Kick beim Bungee-Jumping von der Staumauer des Lago di Vogorno, oder für das Tauchen in der Verzasca, oder…

Und in Mergoscia, das Dorf hoch über dem See, gibt es keinen Durchgangsverkehr. Die Strasse ist oft nur einspurig. Wer hier wohnt, und sei es nur auf Besuch oder für Ferien, will die Ruhe – und keinen Remmidemmi. Hier ist ein Stück Langeweile die Sensation, und die Ruhe, die dazu gehört, ist das grösste Geschenk, das man hier von der Natur empfangen kann.

Vielleicht machen diese Oasen, die Tatsache, dass etwa ein Drittel der Schweiz nicht oder nur beschwerlich bewohnbar ist, die Menschen hier ganz allgemein etwas ruhiger, unaufgeregter. Carl Hirschmann auf jeden Fall, frisch verurteilter Sexualstraftäter mit Abermillionenerbschaft, ist eben zu 33 Monaten Gefängnis verknackt worden. Davon muss er 14 Monate unbedingt absitzen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, aber an sich eine Sensation.

Was das mit meinem Tag zu tun hat und den Gedanken oben? In Deutschland wäre Hirschmann nach diesem Vorgehen nicht vors Gericht getreten, allein, und es wären ihm nicht sechs Mikrofone ins Gesicht gehalten worden, sondern Dutzende. Und er wäre anschliessend sicher nicht hundert Meter allein über den Parkplatz gelaufen. Dafür wäre bestimmt einiges bekannt geworden über die Zeuginnen der Anklage, also die sexuell belästigten und genötigten Frauen. Da ist es auch in der Stadt Zürich irgendwie gesund, die Berge nahe zu wissen – und ein bisschen was vom gelassenen Bergvolk bewahrt zu haben.

Natürlich zelten in Tenero nicht nur Ausländer, und junge Spunde machen auch bei uns gern Rambazamba. Hoffentlich auch. Aber dennoch: Zum Glück sind die stillen Sensationen für uns so nah, dass sie uns unverhofft leicht einzuholen vermögen. Immer mal wieder.


PS: Bilder folgen später auf Lookabout