Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Schweizer und ihre Krisensituationen

∞  16 März 2011, 21:13

Was eine Krise ist und wie sie zu bewältigen sei – wer will das im Einzelfall, wenn er mittendrin steckt, schon beurteilen wollen? Und doch muss genau dies geleistet werden. Und die Frage, wie das eigene Verhalten von daheim aus gesehen werden mag, kann dabei eine grosse Rolle spielen – und manchmal auch eine fatale…


Die Lufthansa storniert ihre Flüge nach Tokyo. Ausländische Firmen und Regierungen fordern ihre Landsleute auf, Japan oder zumindest den Raum Tokyo zu verlassen.

Die Swiss baut in Hongkong ihren Stützpunkt aus, um die Versorgung der Transportbedürfnisse von und nach Tokyo laufend dynamisch zu beurteilen – aber auch sicherzustellen. Man kann hören, dass in der Schweiz die Flugzeuge auf erhöhte Radioaktivität untersucht werden, wenn sie eintreffen. Aber niemand regt sich übermässig auf, und die Flugzeuge nach Tokyo sind auch nicht leer. Auch der Schweizer Botschafter bleibt vor Ort, und wenn er es sagt, tut er es unaufgeregt. Es erscheint selbstverständlich.

Das ist nur eine Momentaufnahme. Und sie gilt ganz gewiss nicht blind für jede weitere neue Lage. Aber die Beispiele zeigen eines:

Die Schweizer Behäbigkeit ist oft mehr eine Gelassenheit, welche es dem eigenen Kopf nicht zulässt, in schnelle Hysterie zu verfallen. Ich glaube, dass dazu auch unser politisches System beiträgt: Bei uns finden auch Wahlen statt, gerade in 2011. Aber die direkte Referendumsdemokratie bindet Bürger und Repräsentanten tragender politischer Institutionen die ganze Zeit über näher an die Sachentscheide, für die sie nun einmal in ihre Funktionen bestellt worden sind.

Jeder einzelne Politiker ist sich gewohnt, seine Entscheide jederzeit mit seinem Auftrag abzugleichen, denn es kann ihm stets blühen, dass ihm, wenn er das vergisst, Widerstände erwachsen, die der unmittelbaren Sache schaden: Es geht ständig darum, Konzilianz herzustellen und sich dabei auch auf andere verlassen zu können. Entsprechend hoch ist auch der Stellenwert einmal eingeführter und etablierter Prozesse um die Meinungsbildungen – und deren Ergebnisse. Ich glaube persönlich, dass sich dies auch in betriebswirtschaftlichen Funktionen niederschlägt, und dass diplomatische Vertretungen aus der Not des Kompromisses einen ganz besonderen Stolz ableiten, die so erarbeiteten Standards auch aufrecht zu vertreten.

Die Neutralität der Schweiz stellt zwar sicher eine äussere Legitimation dafür dar, überhaupt Vermittlertätigkeiten im nahen Osten oder als Vertretung der USA im Iran wahrzunehmen. Deren Ausübung aber ist in ihrer Art auch ein direktes Resultat dieser Art Unabhängigkeit, die ein bedachtes Handeln in Krisen erlaubt, weil die innere Rückvesicherung, richtig zu handeln, viel grösser ist: Der Druck aus der politischen Schweiz baut sich viel weniger schnell durch politische Scharmützel um Wahlprozente auf. Nicht, dass es nicht versucht würde – aber bei uns fällt der immense Druck weg, auf einen Stichtag hin die ganze Macht für vier Jahre er- oder verspielen zu können.

Dazu passt unser distanzierter bis skeptischer Blick auf alles wichtig Tuende – und wer das schätzt, ist gerade als Wichtiger gerne einer unter Vielen. Auch dies ist ein Grund dafür, dass viele Ausländer mit vollem Geldbeutel gerne in der Schweiz leben. Bei uns bleiben sie irgendwie näher am Boden und dürfen schon fast als normal gelten. Wir lassen in Ruhe. Und bleiben in unseren Leidenschaften dort, wo sie gerade aufflackern. Und da können wir dann auch über Belangloses streiten, aber hallo!