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Schweizer Minarette sind keine Frage für Prinzipienreiter

∞  9 Juli 2011, 17:13

Der euopäische Gerichtshof für Menschenrechte erklärt die eingereichten Beschwerden zum Schweizer Minarettverbot für ungültig. Die Kläger sind gar nicht betroffen. Und jene, die so betroffen sein sollen, können ihren Glauben offenbar auch ohne Minarette ungestört ausüben. Ich werde nie verstehen, dass das irgend jemanden wundern kann. Oder konnte.


Lang scheint sie her, die Aufregung über die Schweizer Abstimmung gegen die Errichtung von Minaretten. Hoch schlugen die Wellen in der Diskussion vor allem deshalb, weil man im In- wie Ausland das Verbot von Minaretten mit einer Beeinträchtigung der Religionsfreiheit gleichsetzte. Und das häufig zu hörende Argument war:

Die Initiative ist mit dem geltenden Recht auf Religionsfreiheit nicht vereinbar und wird folglich vom Europäischen Menschengerichtshof bei erster Gelegenheit kassiert werden.

Nun hat – nach dem Bundesgericht in Lausanne – der EGMR in der Sache ein erste Mal geurteilt – und dabei die Chance wahr genommen, die Klage aus en streng formalistisch Gründen für ungültig zu erklären:

Denn die Klage wurde von Aktivisten vorgetragen und damit nicht von direkt Betroffenen, welche sich in ihrer Religionsfreiheit eingeschränkt sehen, weil sie ihrer Moschee nicht auch noch ein Minarett beistellen können. Klagen können aber nur Direktbetroffene, und so lange also die Gläubigen selbst finden, dass sie in der Schweiz ihren Glauben in Moscheen und Gebetsräumen praktizieren können, ohne es dafür ein Minarett bräuchte, werden wir noch lange auf eine inhaltlich zu entscheidende Klage warten können.

Lang ist es her, schon fast ein Jahr, seit den wilden Anwürfen im In- und Ausland, die eine scheinbar reaktionäre Schweizer Volksdemokratie aufs Korn nahmen. Geblieben ist das Gefühl der Übertreibung – und der Eindruck, dass die ganze Auseinandersetzung vor allem jenen geschadet hat, welche die Anrufung des EGMR wirklich nötig haben und sich auf die Substanz wirklicher Verletzungen der Menschenrechte berufen müssen, weil sie sonst kein Gehör finden – und schon gar keinen Sukkurs. Denn mit solchen intellektuell abgehobenen Anwürfen wird die wichtige Substanz der Menschenrechtsbegriffe ausgehölt. Die meisten Schweizer, welche Minarette nicht wollten und dazu standen, werden umgekehrt sehr wohl die wirklichen Menschenrechte verteidigen, wenn sie angegriffen werden: Dafür hilft es, wenn wir alle diese Errungenschaften ziviler Gesellschaften nicht mit falscher Empörung aushölen. Wir sollten überall da aufstehen und uns wehren, wo Glaubensgemeinschaften und kulturelle Gemeinden ihre Bräuche tatsächlich nicht pflegen können, obwohl sie sich korrekt in die Prinzipien des Zusammenlebens mit ihrem Gastland eingefunden haben. Da haben wir alle dann nämlich ein Stück Vielfalt, Gemeinschaft und Horizonterweiterung zu verlieren, und eine Gefahr politischer Instrumentalisierung abzuwenden, die sich auch gegen uns selbst wenden kann:

Wer in einer Volksdemokratie lebt und sich als Teil davon begreift, erlebt sehr schnell, wie oft er zu den Verlierern gehört – und deshalb darauf angewiesen ist, dass ihm objektiv uneinschränkbare Rechte tatsächlich nicht aberkannt werden, obwohl er in der Minderheit ist.

Gerade wir Schweizer wissen, dass eine Gemeinschaft dadurch an Wert gewinnt, dass es sich in ihr in der Minderheit gut leben lässt. Auch und gerade, weil die Zugehörigkeit zu Siegern und Verlierern doch immer eine Entscheidung in der Sache sein soll, die bei jedem Geschäft neu verhandelt wird und sich auf nichts anderes stützt, als auf die zu findende Regel, die allen eine verträgliche Leitschnur an die Hand geben kann. Und das geht im Fall des Minarettverbots sehr wohl. Und je besser “es geht”, um so schneller wird sich der Zeitgeist wandeln und einer Frage, die nun in ihrer Symbolik zu einem scheinbar militanten Abwehrreflex Gelegenheit bot, irgendwann jede Brisanz nehmen. Und dann darf man in diesem Sinn auch Türme bauen. Zuvor wären sie, im Grunde, auch ein bisschen Heuchelei. Oder eben reines Juristenfutter.