Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Schweiz steht vor einem interessanten politischen Jahr

∞  4 März 2013, 17:21

istockphoto.com/MHJ

Eine so interessante Konstellation wie nach diesem Abstimmungssonntag hat es in der Schweizer Politik selten gegeben: Das Volk hat nicht nur den gefrässigen Managern eins auf die Finger gegeben – sondern vor allem den Politikern, die an der Empörung des Volkes vorbei lavierend politisieren. Während die Wirtschaftsbosse wohl immer irgendwie die Hände rechtzeitig zurück ziehen können, wenn das Lineal niedersaust, sind die Politiker in einer ganz anderen Situation:

Denn im Herbst stimmt die Schweiz über weitere Vorlagen ab, die einen garantierten Mindestlohn von viertausend Franken und eine Salärobergrenze für Manager im Ausmass des Zwölffachen dieses Mindestlohns verlangen. Diese Grenze mag im internationalen Wettbewerb um Spitzenmanager viel zu tief angesetzt sein – kein Wirtschaftskapitän macht seine Arbeit für einen Jahreslohn von knapp fünfhunderttausend Schweizer Franken – oder vierhunderttausend Euro, so pervers das auch klingt.

Wenn sich aber nun die Politik bei der Umsetzung der Abzockerinitiative ums Eingemachte winden sollte, dann wird sich die Empörung in der Schweiz weiter an der Stimm-Urne bemerkbar machen, und je mehr faktische Umgehungsbehelfe Entlöhnungskonstrukte zutage fördern, welche den Grundansinnen der Bürger widersprechen, um so fragiler wird der soziale Friede. Vielleicht ist es ja tatsächlich so, dass von diesen Ereignissen eine Strahlwirkung nach Europa ausgeht und ein Stück Rückbesinnung einkehrt: Die grössten Gehaltsexzesse haben bei uns Einzug gehalten. als die Giganten der Finanzwelt anglikanisiert wurden und der US-amerikanische und britische Einfluss in UBS und CS überhand nahm.

Vielleicht muss “man” wirklich nicht alles mitmachen und es kann tatsächlich so etwas wie eine Gegenbewegung einsetzen. An der Basis verschliesst sich das Volk plötzlich den Argumenten scheinbar zu sichernder Arbeitsplätze – die Erfahrungen sind ja auch andere. Lautere Absichten stellt es nun vermehrt erst mal in Abrede, wenn jemand nach freiem Geleit für “die Wirtschaft” ruft. Politisieren wird für die Linke so lustvoll und chancenreich wie selten zuvor. Christian Levrat sieht für die Schweizer SP Morgenröte aufziehen – und er hat plötzlich, dank einem Ostschweizer Zahnpasta- und Mundwasserproduzenten – Trumpfkarten in der Hand, die mit perfektem Timing die politische Agenda der Schweiz in diesem Jahr bestimmen könn(t)en.

Es wird auch interessant sein, zu beobachten, wie sich die grossen Unternehmen der Schweiz verhalten werden – und welche Signale sie nur schon verbal aussenden. Niemand zweifelt wohl daran, dass es ein Leichtes ist, auch ohne Boni Besoldungsmodelle zu kreieren, welche fette Einkommen generieren – aber so langsam wird es ungemütlich, denn wenn sich die Unternehmen nicht weitsichtig genug als Teil der politischen Gemeinschaft verstehen, droht Ungemach – der Bürger ist nicht nur Stimmender, er ist auch mehr oder weniger leistungsbereiter Arbeitnehmer, Angestellter und Teamplayer. Oder eben nicht.

Die Schweiz hat wieder mal die Chance, dank der Eigenheiten ihres geerdeten politischen Systems die politische Agenda und die Gestaltung der Gesellschaft so an die Hand zu nehmen, dass sie mit uns allen tatsächlich etwas zu tun hat, auch wenn Papier geduldig ist:

Es ist definitiv klar: Wenn es mit den Meldungen über Millionengehälter, in welcher ausbezahlten Form auch immer, so weiter geht, dann wird sich die Wut der Bürger halten. Die Unternehmen sollten dies genau so wenig unterschätzen wie ihnen die Reaktionen aus dem Ausland zu denken geben sollten: Danach verlangen im Grunde in allen europäischen Staaten politische Kräfte nach Eingriffen in die Lohnfreiheit – ein ziemlich einmaliger Vorgang, und wohl Ausdruck dafür, dass die Bürger nicht nur Konsumenten sind, sondern Kunden und Teilhaber, Mitgestalter einer Gemeinschaftsstruktur, die erst Gewinne möglich macht. Es ist höchste Zeit, dass das kapiert wird und es Unternehmen selbst nach vermehrt ehrlichen und sauberen Gewinnen verlangt, weil diese nachhaltig sind – akzeptiert, zu reinvestieren, Ausdruck guter Arbeit und vernünftigen Wirtschaftens.

So, und an dieser Stelle ende ich, das war nun naiv genug. Und doch ist es genau das: Wir sollten es als Skandal betrachten, dass solche Gedanken tatsächlich naiv sind.