Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Schweiz, ganz hart

∞  4 August 2011, 19:48

Krisenhort Schweiz. Ich wundere mich. Wir waren doch die Bösen.


Finanzenkrise, Bankenkrise, Immobilienblase, Schuldenkrise, Inflation, Deflation, Rezession – Welche Krise hätten’s denn gern? Und welcher Prognose über die Zukunft möchten Sie glauben?

Ich beanspruche eine pessimistische für mich: Nimmt man den Durchschnitt der Wasserstandsmeldungen aus dem europäischen Wirtschaftsraum, so ist langsam aber sicher zu vermuten, dass alles noch viel schlimmer kommt, sprich, alle Hosentaschen sich noch viel klammer anfühlen, als man (noch) glauben mag.

Das Wort, das ich aber definitiv nicht mehr hören kann, ist:

Experte.

Sie scheinen alle in der Kristallkugel zu lesen – und das Dumme ist, dass wir es vermuten, aber auch nicht mehr wissen.

Übel stösst mir dabei ein Aspekt der Makroökonomie auf: Wie lange ist es her, als die Nachrichten im Wirtschaftsteil Ihrer Zeitung vom Schwarzgeld dominiert wurde, das alle Welt in die Schweiz karren würde, um es dort vor dem heimischen Staat in Sicherheit zu bringen? Die Schweiz am Pranger, als schamloser Profiteur aus dem Geschäftemachen mit Steuerhinterziehern, ein Parasit und Schmarotzer am Tisch der EU. Und nun? Alle Welt flüchtet in den Schweizer Franken. Dollar- und Eurokurse fallen in sich zusammen – und die Schweiz wird ein Stück weit das Opfer seines Mythos eines stabilen Horts verlässlicher Politik und vernünftigen Wirtschaftens (so ganz plötzlich wieder) – mit Parametern wie einem ausgeglichenen Staatshaushalt. Kein Mensch würde ernsthaft behaupten, es wäre die Schwärze des Geldes, das den Schweizer Franken so beinhart mache, dass nun Schweizer Unternehmen bald nicht mehr exportieren können.

Man könnte wirklich versucht sein, einen Vorhang zu ziehen und zu sagen: Macht Euren Kinderkram alleine. Zum Glück gibt es diese Gardine nicht und haben wir schon ganz andere Herausforderungen gemeistert. Aber es ist höchste Zeit, dass wir dafür auch endgültig selbst erkennen und endlich glauben, dass die wahre Stärke der Schweiz in ihrer gesunden, bodenständigen, abgeklärten und doch mutigen Art liegt, Geschäftsentwicklungen auf feste Füsse stellen zu wollen. Wenigstens fast immer. UBS, Swissair – ich weiss, es gibt der negativen Beispiele genug. Aber in der Summe aller Anforderungen brauchen wir uns mit unseren Leistungen vor gar niemandem zu verstecken.

Wir sind keine Insel. Dass wir das nie wirklich angenommen haben, dass wir uns aber den scharfen Blick auf gewisse träumerische Ideale erlaubten – macht uns nun in den Augen von Anlegern und Spekulanten tatsächlich zu einer Insel. Es ist einfach verrückt.