Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Schwäbische Ignoranz und ein Konter

∞  24 Februar 2009, 20:44

Und noch eine letzte Begebenheit von meinen kürzlichen Bahnfahrten. Ich hatte es da wirklich immer mal wieder mit Ausflüglerinnen mittleren Alters zu tun. In diesem Fall schienen die vier Damen auf der anderen Seite des Ganges von einer Tagung einer NGO-Organisation zu kommen, wobei ich über deren Ziele nicht mehr aufschnappte, als dass es sich wohl um Umweltfragen handelte.

Man bekommt ja so einiges mit in den offenen Wagons des ICE, und in diesem Fall habe ich mich auch in keiner Weise dagegen gewehrt, zumal die sich mir anbietende Feldstudie durchaus interessant war und von mir in aller Ruhe und Offenheit vorgenommen werden konnte, da das heitere Grüppchen doch ausnehmend einnehmend ausschliesslich mit sich selbst beschäftigt war. Das Faszinierende für mich war die Vielseitigkeit der Interessen, die hier wach zu Tage traten: Ich habe sonst nur Teenager so angeregt über die technischen Möglichkeiten des neuen Handys referieren hören, während diese sich dafür sehr viel weniger engagiert im nächsten Atemzug einem Zustandsbericht der neusten Strickarbeit zuwenden dürften. Und dann wurde wieder darüber gestritten, wie hinderlich oder förderlich die Sitzungssprache Englisch für die Tagung gewesen sein dürfte. Das alles in breitestem Schwäbisch vorgetragen, amüsierte mich nicht wenig, und manchmal muss das Lächeln in meinen Mundwinkeln doch etwas gar deutlich auszumachen gewesen sein, auf jeden Fall war man sich gegenseitig nicht gerade unsympathisch, ohne dass ich mich in die Konversation eingemischt hätte.

Das änderte sich dann allerdings kurz vor Basel relativ schnell und brüsk, als den Damen klar wurde, dass ich Schweizer war (und bin). Plötzlich war sie da, die erste Bemerkung über die Schweiz und uns Schweizer, und wie geschickt wir es anstellen würden, vom “Fluchtgeld” der Nachbarländer zu leben, während wir zudem in unserem Verhältnis zur EU nur nach den Rosinen picken würden.

Da traf es sich doch wunderbar, musste ich eh’ gleich aussteigen, wobei ich die Gelegenheit benutzte, das Wegräumen der Lektüre, den Griff zum Mantel und das Herunterwuchten der schweren Tasche mit einem kleinen, bewusst mit fester, um nicht zu sagen, lauter Stimme vorgetragenen Referat zu untermalen, in dem ich den selbstgefälligen Tanten (ich bitte um Entschuldigung, aber nur halbwegs) ein paar Fakten um die Ohren wehen liess:
Dass die scheinbare Einigkeit in der EU wohl nicht so ganz besonders gut aussähe, würde das Volk aller Mitgliedländer so eingehend zu Europa und zum Zusammenleben unter einander befragt werden, wie das in der Schweiz nun zum wiederholten Male geschehen sei, immer mit positivem, Europa zugewandtem Ergebnis. Oder ob vielleicht das Damenkränzchen hier so sicher sei, dass der erweiterten Personenfreizügigkeit (mit Einbezug von Bulgarien und Rumänien) 60% der Deutschen zugestimmt hätten, explizit vielleicht gar, präzisierend, 60% der ach so schaffigen Schwaben? Und ob es wohl in Deutschland möglich wäre, dass man in einem auch im eigenen Land lebendigen Steuerwettbewerb eine Gemeindeversammlung fände, die einer Steuererhöhung von 6%, so zum Beispiel, zustimmen würde? Bei uns wären die Menschen sich eben gewohnt, nach Ihrer Meinung gefragt zu werden und dafür dann auch Verantwortung für eine Art Gemeinsinn und Gemeinschaft zu übernehmen. Und deshalb würden wir umgekehrt eben Wert darauf legen, dass Föderalismus UND Zusammenspiel in dieser Gemeinschaft von Parlamentariern vertreten würden, die wir in Persönlichkeitswahl bestimmen könnten – und nicht nur nach dem Parteibuch. Oder, darf ich fragen, ob eine der Damen hier mir vielleicht sagen kann, wie wenigstens einer der Parlamentarier heissen könnte, der genau ihre Interessen in Brüssel vertrete?
Mit einem Kreuzchen alle vier Jahre, werte Damen, geben wir uns eben nicht zufrieden. Das hat mit Demokratie, nach unserem Verständnis, mit Verlaub, gar nix zu tun. Und vielleicht reagieren wir auch deswegen so empfindlich auf den technokratischen Zentralismus, den der Parlamentsmoloch in Brüssel ausstrahlt?

Offene Münder allenthalben, alles sind froh, muss ich aussteigen. Ich auch. Auf dem Bahnsteig greift neben mir ein junger Mann nach seinem Koffer und sagt trocken, aber herzhaft: “Danke!”
Dann machen wir, dass wir weg kommen. Wir sind bald zu Hause. Er in Basel, ich in Zürich. Das birgt genügend Reiz zu Gegensätzen. Aber hier waren wir uns einig. Völlig einig.