Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Schreiben Sie

∞  16 März 2010, 19:50

Tagebuchverfasser, Blogger, Journalist oder Autor? Falsch. Es gibt nur Schreibende. Und wenn man Milena Moser glaubt, wollen alle schreiben.

Ich weiss nicht, ob das ähnlich zu verstehen ist, wie die Aussage, dass alle gerne singen möchten. Das ist natürlich falsch. Vielleicht möchten alle gerne gut singen können. Das möchte ich auf jeden Fall sehr, sehr gerne. Und genau darum singe ich nicht. Nie. Ausser im tiefsten Wald, wenn es geradezu Sinn macht, zufällige Zuhörer zu erschrecken.

Aber vielleicht stimmt es ja, dass eigentlich alle schreiben möchten. Vielleicht möchten auch alle reden. Und es fehlt nur an der Überzeugung, es zu können. Der Mensch besitzt ja eine unglaublich ausgeprägte Fähigkeit, sich die Fragen zu beantworten, bevor sie gestellt sind (und andere gar nie zu stellen, obwohl die Antworten ganz wichtig wären, aber das ist ein anderes Thema). Was also fasziniert am geschriebenen Wort? Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass etwas, was man spricht, wenn es denn aufgeschrieben wird, plötzlich irgendwie verbindlicher ist. Das Geschriebene ist wie die Fotografie eines Gedankens. Eine Art Zeugnis eines gedachten Moments. Es ist ein Teil von uns, eine Offenlegung, und es ist irgendwie immer mehr als die Summe aller Buchstaben. Der Satz kann dabei ganz banal sein, der Leser kann dennoch alles, wirklich fast alles hinein denken. Gerade dann. Der Leser kann sich sein eigenes Leben vorlesen. Und er tut es wohl viel häufiger, als er es sich bewusst ist.

Wenn das Kind aus dem Ferienlager schreibt:
Hoi Mami, wie geht es Dir? Mir geht es gut. Heute Nachmittag machen wir eine Wanderung., dann kann es sein, dass die Mutter daran eine halbe Ewigkeit zu lesen vermag. Vielleicht hört sie die Stimme der Tochter, sie riecht die Blumen auf der Bergwiese, stellt sich die Aussicht vor, sieht das vertrauteste Gesicht in ihrem Leben lachen und macht sich gleichzeitig Sorgen, da sie die Stimme ja nicht hören und befragen kann, ob das Kind wirklich glücklich ist?
Texte können beruhigen, aufrütteln, sie können was sagen und doch viel verschweigen, aber sie sind in jedem Fall verbindlicher als ein flüchtig gesprochenes Wort. Und weil wir als Leser das immer wissen, auch wenn wir vielleicht nie darüber nachdenken, deswegen mag wohl Milena Moser vermuten, dass alle gerne schreiben würden.
Tun Sie es. Sie atmen doch auch, ganz selbstverständlich. Schreiben Sie jede Woche einen elektronischen Brief. E-Mail soll ein veraltetes Medium sein, habe ich gelesen. Ich finde es modern genug, dass es mir wichtiger ist als jede PN oder jede Nachricht auf Facebook oder Twitter oder wie alle diese flüchtigen Dinger heissen. Nein, ich schreibe Mails. Von Herzen gern und häufig, und doch viel zu selten. Die meisten meiner Adressaten würde ich überfordern, würde ich von ihnen Antworten im gleichen Ausmass und Tempo erwarten. Aber darum geht es nicht. Ich rede ja auch mit mir beim Schreiben, und ich bin jedem dankbar, der mir dabei hilft – gerade weil ich ihm schreibe, weil er mir einen Grund dafür schenkt, und weil er mir diese Zeit wert ist, in der ich mir selbst ein Bewusstsein schenke, das näher bei mir selbst bleibt als bei den meisten anderen Tätigkeiten.

Schreiben ist immer auch begegnen. Schon in dem Moment, indem sie einen Buchstaben setzen. Lange, bevor es jemand anders gelesen hat. Reden Sie ruhig mit sich selbst. Wenn Sie es schreibend tun, wird niemand meinen, Sie wären sonderbar. Das werden Sie höchstens, wenn Sie sich diese Begegnungen mit sich selbst nicht gönnen.
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PS: Und wenn Sie etwas älter sind und meinen, Computer und dieses E-Mail-Dings wären nichts mehr für Sie, dann lassen Sie sich gesagt sein: Sie verspielen damit eine wunderbare Chance für den Rest Ihres Lebens!