Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


RTL auf dem Tiefpunkt

∞  1 April 2007, 10:14

Ich habe mir gestern DSDS – Deutschland sucht den Superstar angeschaut, und mich masslos geärgert. Eigentlich ist das falsch gesagt. Ich war, und ich bin entsetzt.

Da wurden doch tatsächlich zwei „Kandidaten“ in die Sendung eingebaut, die dadurch aufgefallen sind, dass sie sich bereits vier Mal vergebens für den Gesangstalentwettbewerb beworben haben – und zwar hoffnungslos vergebens.
Jetzt durfte die eine als Backstage-Reporterin auftreten und der andere durfte singen und tanzen oder das tun, was er dafür hielt. Das Publikum hatte seinen Spass, die Schenkelklopfer Grund zum Grölen. Die Gaudi war grenzenlos.

Damit setzte die Sendung nahtlos am Nachmittagstalk-Niveau an, bei dem mit einer bestimmten sozialen Schicht ohne sonstige Chance auf Beachtung hemmungslos Quote gemacht wird. Da werden Menschen mit ihren Träumen vorgeführt. Das einzige aber, was wirklich zählt, sind ihre Fehler und die geweckte Schadenfreude, mit der wir uns dann dabei unterhalten sollen.

Dass ein Sender dieses Prinzip ins Samstagabend-Programm hinein trägt, ist eine neue Steigerung dieses Formats, bei dem Menschen, die eh schon jede Bodenhaftung vermissen lassen, einmal auf den roten Teppich gestellt werden, auf dass sie definitiv jeden Sinn für ihre eigene Realität verlieren, um ihnen dann sogleich diesen Teppich mit einem endgültigen Ruck unter den Füssen weg zu ziehen, und sie ihrem weiteren Schicksal zu überlassen.

Menschen werden hier benutzt und der Müll, der produziert wird, hemmungslos gesendet. Und ich, hoffentlich nicht nur ich, sitze fassungslos da und blicke in die Fratze einer, nein unserer Gesellschaft, die so was erst möglich macht. Wenn wir dem Sender die Türe einrennen würden vor Empörung, würde das nämlich nicht passieren.

Ich höre das Argument schon: Das sind erwachsene Menschen, die selbst entscheiden.
Wirklich? Wir ergötzen uns doch gerade daran, dass es offensichtlich welche unter uns gibt, die genau das nicht können: Sich einschätzen. Das einzige, was wir mit ihnen teilen, ist vielleicht den heimlichen Wunsch, mehr Beachtung und Anerkennung zu bekommen. Hier wird mit Menschen gespielt. Punkt.

Dass unter den richtigen Kandidaten an diesem Abend die Frau mit der besten Stimme überhaupt ausschied, war die Quittung, die den Verantwortlichen dieses Machwerks zum Ende präsentiert wurde. Die Leidtragende ist auch in diesem Fall die Falsche: Francisca Urio ist als Ballerina aus einem Tanzbären-Wettbewerb ausgeschieden. Sie war ganz offensichtlich zu professionell. Das Publikum hat so bewiesen, dass es der richtige Adressat für dieses Format ist.

Wie haben sie getönt in Deutschland und vor allem bei RTL, und sich ihrer Kandidaten gebrüstet, sich mokiert über das Niveau anderer Talentwettbewerbe, und wie wie wurde das aufgenommen in der Schweiz und das letzte Format von Music Star und vor allem die Qualität der Kandidaten kritisiert. Was wir am Ende erlebten, war mit dem Final-Song von Fabienne eine positive Gemeinschaftserfahrung: Ein Mädchen mit einem Traum erlebte eine Sternstunde und wuchs über sich hinaus. Drei Minuten lang fühlte jeder Zuschauer: Diese junge Frau singt „um ihr Leben“. Es wurde fühlbar, erlebbar, wie gross der Wunsch eines Menschen sein kann, mit seiner Kunst auf der Bühne zu stehen und Menschen glücklich zu machen.

Mag sein, dass Francisca Urio trotzdem Karriere macht. Wer am Ende unter den paar Letzten der Selektion wirklich Beachtung findet, entscheidet nach einem momentanen Hype eh die Unterhaltungsindustrie – die Auswüchse hierzu, die hier in Deutschland offensichtlich wurden und so demaskierend zur Darstellung kamen, können aber nur gegeisselt werden.

Es gibt zu diesem Beitrag ganz bewusst keine Links Richtung Protagonisten. Wäre ja noch schöner, wenn damit den Machern noch signalisiert würde: Wir bekommen unsererseits Beachtung, wenn wir nur schön auf die Drüsen, Hormone und Minderwertigkeitskomplexe der Menschen drücken, die wir selbst zuvor bei ihnen ausgemacht haben (und ganz bestimmt auch selbst kennen).
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Vorschlag: Macht doch einfach Musik! Arno Horn Musik für Blasorchester