Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Respekt vor der Ferne

∞  15 März 2009, 19:55

Komisch irgendwie:
Man müsste meinen, dass die Weisheit der Routine, das vermehrte Wissen, die Erfahrung, die angehäuften Lebensjahre, dass all dies, was schon erlebt und bestanden wurde, die nächste Reise leichter machen würde, die Vorbereitung gelassener.
Doch im Grunde ist das Gegenteil der Fall: Mit dem Alter steigt wohl auch das Wissen, dass die Unsicherheiten einer solche Reise grösser sind, als man es sich in aller Regel eingestehen will. Es kann immer etwas passieren. Das ist zuhause auch so, jedesmal, wenn ich auf die Strasse gehe oder ins Bett, wenn ich aufstehe. Statistisch ist die “Gefahr” auf einer Reise um ein Vielfaches grösser, aber immer noch verschwindend klein. Vier Wochen sind in späteren Erinnerungen ein paar Atemzüge, ein sonniger Tag, ein Erlebnis, Gesichter, Gerüche, eine holpernde Strasse, kräuselndes Wasser in ruhiger Strömung. Irgendwas scheinbar Zufälliges, was nachhaltig bleibt. Bevor wieder anderes kommt, das sich davor schiebt, neu wichtig ist, aber vielleicht nicht bleibt.

Reisen ist das Wandeln mit der Veränderung, die scheinbare Initiative, die selbst herbei geführte Distanz, das gewollt Neue, das doch dann besonders wirkt, wenn es unerwartet ist. Reisen ist das Bejahen von Überraschungen, denen man nicht mit Angst, sondern mit Neugierde begegnet. Das JA zur Demut, stets auch Schutz zu brauchen und dafür auch das zu tun, was nötig ist, um vernünftig mit den zu erwartenden Begebenheiten umzugehen.

Der Reisende braucht also auch Umsicht, Vorsicht, Zuversicht; und Gottvertrauen über allem schadet nicht. Es macht das Reisen vielmehr unbeschwerter, erwartungsvoller, genussreich, zu einem Gabentisch, dem man dankend entlang geht, und von dem man kostet, was er hergibt.
Und natürlich wollen wir auch geben. Wir nehmen uns mit und verschliessen uns nicht. Wir haben keine Angst, bestohlen zu werden. Wir wollen geben. Aufmerksamkeit, Freude, Dankbarkeit für Gastfreundschaft. Wir werden das Fragen nach unserem Leben geniessen und davon erzählen, uns dabei selbst zuhören und so überprüfen können, wie sehr dieses Leben für uns selbst stimmt und rund und stimmig ist. Wann immer wir von einer Reise heimkommen, sind wir gerne wieder gekommen. Wir haben weiter gelebt, uns wieder eingelebt – doch immer sind wir verändert worden. Durch das, was wir neu sehen durften, was uns vorgelebt wurde. Durch die Natur, die zu sehen allein ein Geschenk ist, das man nicht verdienen kann, nur verdanken und ehren, indem man ein wenig mehr so lebt, als wüsste man endlich, wie sehr sie auf uns angewiesen ist.

Wir kommen wieder. Und werden viel zu erzählen haben. Und zu verarbeiten. Zu erinnern. Frei von zuviel Erinnerung und Ballast wollen wir aber erst mal da hin kommen. Also alles abschütteln, was uns drückt und mal das Loslassen üben.
Erkennen, dass nicht nur warten muss, sondern liegen bleiben darf, was nicht zu erledigen war. Reisen bedeutet auch loslassen. Fühlen, wie das scheinbar Wichtige leicht wird und wirklich zurück bleibt. Wem das nicht gelingt, der ist gar nicht erst wirklich unterwegs.
Wir werden es sein. Wir werden reisen. Und lernen. Staunen. Manchmal fluchen. Viel schwitzen. Und ohne entsprechende Stätten gezielt aufzusuchen, werden wir uns bewusst sein, was vor vierzig bis dreissig Jahren in dieser Gegend los war – und wie willkommen wir Weissen jetzt in Kambodscha und Vietnam sind. Danke, dass wir kommen dürfen. Wir freuen uns darauf.