Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Respekt, Mutter!

∞  11 April 2010, 23:40

Sie sind uns lästig, die strengen und konsequenten Ansagen von Respektspersonen, Lehrern, Trainern, Eltern gar… Wenn wir jung sind, reiben wir uns daran. Dann reifen wir, werden erwachsen, legen Prüfungen ab, treten “hinaus ins Leben”, und nicht selten schauen wir dabei fast gar nicht zurück.

Ich zum Beispiel habe die konkreten Veränderungen, die Erweiterungen und realisierten Umgestaltungen im Alltag meiner Eltern oft kaum wahrgenommen. Das mir Erzählte aus fernen Tagen blieb mir fremd, Aktuelles habe ich bestenfalls zur Kenntnis genommen.

Ich realisierte zwar irgendwann, dass Vater mehrmals in seinem Leben den Schritt zu einer völligen Neugestaltung im Beruf wagte, aber den vollen Respekt bekam er von mir dafür erst, als ich es ihm nicht mehr sagen konnte. Da war er schon gestorben. Oder ich wusste davon, wie meine Mutter früher plötzlich neben der Erziehung noch eine Krankenkassenagentur führte, abends, später bekam ich mehr hautnah mit, als mir als Teenager lieb war, dass sie noch autofahren lernte, mit weit mehr als vierzig Jahren, und natürlich blieb mir auch nicht verborgen, auch wenn ich ausgezogen war, dass sie nun eine Art Altersturnen leitete. Ich lächelte über diese Dinge innerlich, sah allenfalls die mangelnde Perfektion darin, die Aktivität einer Randgruppe, achtete nicht den Mut, so spät sich einer Autoprüfung zu stellen, gegen alle Widerstände, während ich sehr wohl danach die fehlende Sicherheit nie übersah beim Fahren. Aber woher hätte sie denn kommen sollen? Ich möchte das heute nicht lernen müssen. Und ob ich den Mumm hätte, es anzupacken, weiss ich auch nicht, ich Grosskotz.

Jetzt, wo meine Mam im Altersheim wohnt, wo sie ihr Häuschen mit fast achtzig Lenzen in Eigenregie verkauft hat, wo sie jeden Tag den Mut findet, ihre müder werdenden Beine aus dem Bett zu schwingen und die eiserne Disziplin beweist, jeden Morgen ihre Turnübungen zu absolvieren, während ich fauler Sack das Joggen aufgegeben habe, jetzt, wo meine Mam uns Söhnen jede Unsicherheit über ihren Willen abgenommen hat, wo ich für alle Lebenssituationen,die sie erreichen mögen, wissen darf, was ihr Wille ist, jetzt, wo sie kein Thema scheut und ich über alles mit ihr reden kann und nichts, was Leben, Sterben und Tod betrifft, peinlich sein muss und alles geregelt ist, bevor irgend etwas davon dringlich wäre, auch wenn die Tage manchmal für sie beschwerlich sind und das Augenlicht nachlässt: Jetzt hat sie meinen vollen Respekt für jede ihrer Leistungen, und ich ziehe den Hut. Es ist spät dafür, ich weiss. Aber vielleicht ist es auch der übliche Hochmut der erwachsen werdenden Jugend, die Unachtsamkeit der sich ausbildenden eigenen Familien- und Lebenswelt gegenüber den Wurzeln und Vorbildern, die uns mehr unbewusst handeln lassen mit dem mit bekommenen Gerüst, ohne dass wir achtsam bejahen und verdanken würden, woher dieses Rüstzeug kommt.

Deshalb schreibe ich das hier, und ich drucke Dir, Mam, für einmal “das Internet” nicht nur aus als Rekapitulation früherer Einträge, sondern ganz aktuell, denn diesen Beitrag sollst Du Ende Woche schon lesen können. Es ist für gewisse Dinge keine Zeit zu verschenken. Und glücklicherweise ist es für viele solche Handlungen und Bezeugungen auch nicht zu spät. Du bist mir im Finden Deiner vielen kleinen Ja-Antworten zu einem enger gewordenen, zu einem beschwerlicheren Leben, ein Vorbild. Und ich ahne zumindest, dass auch so manches Bild von Dir, das ich erinnern kann, viel mehr für mich enthalten kann, als ich bisher darin sah. Ohne jede Verklärung. Einfach als Beispiel dafür, dass wir alle, die wir unser Leben leben, darin nicht einfach nur alltäglich und gewöhnlich sind. Nein. Wir alle erbringen immer wieder aussergewöhnliche Leistungen. Wir springen über Schatten. Wir halten Dunkelheit aus. Wir trauen uns etwas zu. Wir scheitern, wir zagen, aber in jeder unserer Geschichten steckt für einen empathischen Erzähler auch immer eine Erzählstrecke, die sich spannend, bejahend, positiv und voller Energie spendender Zeichen erzählen lässt:
Wir alle stehen jeden Tag auf und bekommen jeden Tag die Chance, darin eine spannende Lebensschule zu sehen. Und manchmal dürfen wir auch eine Ahnung davon bekommen, dass wir, vielleicht ohne es zu ahnen, jemandem gerade Mut gemacht haben.

Ich wünsche uns Allen eine besondere Woche! Nicht, dass dabei viel geschehen müsste. Aber dass wir mehr wahrzunehmen vermögen als auch schon. Die Welt ist voller Geschichten. Auch unserer eigenen. Leben wir sie!