Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Reisen und Leben mit Orientierung

∞  22 Mai 2008, 18:42

GPS und Google-Map statt Strassenkarte und Distanzrädchen – die neue Reiseplanung als Beispiel für Generationenwechsel im Informationszeitalter. Und die Krux, die Jung und Alt damit haben können – oder müssen.


Alle paar Jahre – mehr ist es zur Zeit wirklich nicht mehr – besuchen wir Freunde in Frankreich – und jedes Mal diskutieren wir angeregt über den bestmöglichen Weg für die Autofahrt. Und welcher dass kürzer und besser sei. Da das anzuvisierende Örtchen nicht gerade ein urbanes Zentrum ist, sondern ziemlich in der Pampa liegt und folglich mehr als die Hälfte des Weges nicht über die Autobahn führen kann, lässt sich darüber gar trefflich und endlos diskutieren.

Doch nun bekommen diese Gespräche ganz neue Grundlagen. Im Zeitalter von Google-Maps und GPS-Navigationssystemen lässt sich ja nun online vergleichen und programmieren und dann praktisch verifizieren, dass es eine wahre Freude ist, zumindest theoretisch. Denn real bleibt, und das ist ja doch auch irgendwie tröstlich, das subjektive Empfinden über die Bequemlichkeit massgebend. Vor allem, wenn die zwei meist diskutierten Routen, die der Freunde und unsere eigene, im Ergebnis eines ganzen langen Reisetages 40 km und zehn Reiseminuten auseinander liegen. Laut Google-Map.

Wie ich also so über die Google-Karte fahre, für eine Variante mit der Maus ein bisschen ziehe und – zack – die neue Route über den neuen Via-Punkt geführt wird und mich das Ergebnis visuell und numerisch anspringt, bleibt mir die Faszination über die heutigen technischen Möglichkeiten, von der Bebilderung etc. gar nicht erst zu reden. Und gleichzeitig beschleicht mich das immer wieder komische Gefühl, wie unaufhaltsam wir wohl im Begriff sind, eine neue Klassengesellschaft einzuführen, die mindestens die Unterschiede der Generationen verstärkt: Die älteren Menschen bekommen so schwer so Vieles noch mit, was uns möglich ist und wir (noch) einigermassen leicht lernen, sofern es uns denn wirklich interessiert.

Wenn ich daran denke, dass unser Alltag von immer individuelleren und singuläreren Wohn- und Lebensformen geprägt ist, so wird es darin auch immer weniger Berührungspunkte zwischen den Generationen geben – und damit auch immer weniger Hilfe.

Vielleicht ist ja dies ein Trost: Ich werde morgen mein GPS im Auto zu programmieren versuchen für eine längere Strecke, ebenfalls mit verschiedenen Check-Punkten. Wenn ich daran denke, wie viel Zeit ich in die Bedienungsanleitung des Navigationssystems schon gesteckt habe und wie vertrackt das morgen vielleicht trotzdem noch sein wird, dann bleibt am Ende die Vermutung, dass das gefühlte Wohlbefinden und das “Fahren wie schon immer” vielleicht am Ende weniger schnell und ein wenig mit Kartenlesen verbunden sein wird, aber bestimmt nicht weniger Zeit verschluckt als mein Ansatz. Dafür werde ich meine Neugier an neuer Technik befriedigen können und meine Faszination für die Möglichkeiten erweitern. Ob damit das Beispiel als Ganzes relativiert wird?

Mir graut manchmal vor meinem eigenen Älterwerden. Wie schnell werde ich das Gefühl haben, mich nicht mehr wirklich auszukennen? Was muss das z.B. für ein Gefühl sein, am TV eingeblendet zu sehen und zu hören: Für nähere Informationen konsultieren Sie bitte unsere Web-Seite www.xy.ch. Und keine Ahnung zu haben, was das soll. Und das passiert den alten Menschen häufig. Und, notabene, auch beim Schweizer Fernsehen. Das sind die mit dem theoretisch öffentlichen Informationsauftrag.


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