Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Priester als Volksverhetzer

∞  28 November 2012, 17:19

Je individualisierter unsere Gesellschaft wird, um so stärker werden extreme Zusammenschlüsse – als wollten sie der Einsamkeit des Individuums in seiner Selbstverantwortung einen Alternativentwurf entgegen setzen. Und in der Gruppe lässt sich gut wettern gegen Andersartige, -denkende und -gläubige. Es entsteht so ein heimeliges Gefühl, einer Gruppe anzugehören, die sich abhebt und gegenseitig bestätigt, was richtig ist.

istockphoto.com/koun

Nun ist das Portal also regelmässig in den Medien, und die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen kreuz.net – ein Hetzportal, das laut Unter-Titel schlicht “katholische Nachrichten” verbreiten will. Ein kurzer Scroll über die Seite macht schnell deutlich, an welcher Art Nachrichten die Betreiber interessiert sind und wo sie überall die Gefahren anderer freier Meinungsäusserung vermuten. Ich habe noch kaum je auf einer Seite so viele Pfarrershüte und lange Kutten gesehen, und wenn man den Nachtrichtenmix und die Kommentare streift, dann wird auch schnell klar, mit was man seine Schäfchen vor allem bei der Stange halten kann und will: Es wird gegen Schwule gelästert, gegen Homosexuelle und auch noch ein bisschen viel gegen Homos. Und der Ton dieser Kommentare ist oft so degoutant primitiv bis hetzerisch, wie sich die Betroffenen offensichtlich bei dem Thema unwohl fühlen, um es dann mit entsprechender Lust auszubreiten.

Nun, ich habe es schon oft genug selbst festgestellt, kann man von niemandem erwarten oder verlangen, dass er homosexuelle Partnerschaften als sexuell naturgegeben betrachtet. Wer Sexualität mit dem Ziel der Fortpflanzung gleichsetzt, hat da die Argumente auf seiner Seite. Es ist aber sehr wohl eine Frage, in welcher Art man eine Diskussion über diese Frage “fördert”, und jeder Betreiber einer Webseite trägt die Verantwortung für die Art und Weise, wie darauf diskutiert, und erst recht, wie Texte dafür geschrieben werden. Das scheinen auch die Betreiber von kreuz.net zu ahnen, denn sie halten sich lieber im Hintergrund, so dass man mutmassen muss, wer hinter der Seite wirklich stecken könnte. Das macht nun auch die Staatsanwaltschaft, die mittlerweile wegen Volksverhetzung ermittelt, und nun recherchieren auch Medien wie der Spiegel und andere fleissig(er). Diese exotisch anmutende Seite ewig gestriger Katholiken kommt so militant daher, dass kein Zweifel daran besteht, wo das nach ihrer Meinung enden soll, und das bietet sehr wohl Grund zur Beunruhigung. Denn so, wie es aussieht, stecken hinter dem Portal zwar radikale Spinner, aber nicht solche ohne Amt und Würden, ganz im Gegenteil. Nach noch unbestätigten Recherchen von SPON handelt es bei sechs eruierten Personen um vier Priester, die auch seelsorgerlich und als Dorfpfarrer tätig sind, und zwei katholische Laien.

Der Priester mit dem klanvollen Namen Hendrik Jolie brachte es fertig, während Wochen jede redaktionelle Mitwirkung bei kreuz.net zu leugnen, um nun doch einzuräumen, dass er regelmässig Texte für das Portal verfasst hat. Dabei waren die gar nicht so aufhetzend, opportun schien ihm das Zugeständnis doch nicht zu sein. Da weiss einer genau, was er fördert.

Wenn dann im Spiegel-Artikel [1] im Anrisstext festgehalten wird, dass Jolie von seinem Chef ausser einem Rüffel nichts zu befürchten hat, und “Bischof Lehmann ihm für die Selbstkritik dankt”, dann schnappt man nach Luft. Nun wird im Artikel dann zwar klar, dass “die Kirche” intern in diesem Fall schon eine deutlichere Position einnehmen dürfte, aber diese Art der Kommunikation bis hin zur schlichten Lüge samt aller Verschleierungen, wie sie bei den aufgedeckten Missbrauchsfällen praktiziert wurde, scheint tief in der Institution zu stecken wie der Mottengeruch in alten Kleidern.

Es ist Wachsamkeit angesagt. Ich fürchte als Christ nicht die Säkularisierung der Gesellschaft. Ich fürchte die Verbiesterung auf allen Seiten, die zu solchen Auswüchsen führt und in Selbstherrlichkeiten gipfelt, die jeder Beschreibung spotten. Und auch Kirchenvertreter haben zu respektieren, dass die Art und die Wahl, wie und mit wem wir zusammen leben und lieben wollen, in unserer Gesellschaft eine Privatsache ist. Wird sie niemand Drittem aufgedrängt und ist sie frei gewählt, so kann die Kirche zwar bestimmen wollen, wie sie ihre eigenen Clubmitgliedschaften regelt, sie hat aber jede Hetze gegen diese anderen Mitglieder unserer Gesellschaft zu unterlassen, und sonst soll ihr der Staat aufs Dach steigen, und zwar ganz gehörig.

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[1] SPON – Priester gibt Textlieferungen an kreuz.net zu
[2] Spiegel-TV über kreuznet