Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Politisches und wirtschaftliches Kalkül - und mittelständischer Unmut

∞  24 November 2010, 19:24

Der bürgerliche Mittelstand ist der Politik überdrüssig. Wobei ich nicht genau zu sagen wüsste, wo das wirklich herkommt? Wir bezahlen zuviele Steuern? Aber wir haben doch, wobei wir uns hier immer als Teil einer Statistik ansprechen lassen müssen, immer mehr in der Tasche, Ende Jahr?
Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich wundere mich hier nicht über Einzelne, meine nicht, alle Schichten könnten jubeln, aber am Ende geht es um die Veränderung der Grundstimmung, welche Mehrheiten verschiebt. Und der eingangs genannte Mittelstand ist das Fundament unserer Gesellschaft.

Die Politikverdrossenheit schreit nach stringenteren Verhaltensweisen gegenüber all jenen, die vermeintlich bedrohen, was doch uns gehört. Während die falschen Politiker die falschen Entscheidungen treffen, wie wir schimpfen, lassen wir uns von Managern die Welt so verändern, wie es “Wirtschaftlichkeit” und “Arbeitsplätze” doch vorschreiben, wie sie sagen. Scheinbar objektive Kriterien bestimmen sachzwanghafte Gegebenheiten. Selbst dann, wenn Novartis und Roche bei erstklassigen Betriebsergebnissen hunderte von Arbeitsplätzen abbauen, wird dies begründet, als würde man damit Notplanken auf einem lecken Schiff festnageln. Die Arbeitswelt ist eine Wirtschaftswelt geworden, in der man für die rigiden Massnahmen vor Ort Gründe aufführt, die auf der anderen Seite des Globus zu orten sein sollen.
Kein Wunder, bleibt der globale Markt mehr fremde Bedrohung für die hier Verwurzelten. Die Weite, die Durchlässigkeit, welche Wirtschafts- und Finanzwelt für den neuen grossen Markt fordern, bleibt in den Köpfen der Mehrheit schlicht eine fremde Saga, ein Vorwand, eine Geldmaschine für Wenige.

Es verwundert mich nicht, dass Ausländerfeindlichkeit neue Urstände feiern kann und wir vermehrt Diskussionen darüber führen, welche Menschen uns fremd bleiben müssen und welche eventuell nicht. Die aktuell zur Abstimmung anstehende Ausschaffungsinitiative spiegelt sehr gut das politische Kalkül der SVP: Indem sie für zwingende Ausschaffungen straffällig gewordener Ausländer Strafbestandskataloge im Initiativtext nennt, schlägt sie zwei Fliegen mit einer Klappe – die Ausländer und die politschen Gegner:

Der Initiativtext nennt konkrete Vergehen, und die Auswahl dieses Katalogs ist extrem störend, weil er keine objektive Gewichtungen nach der Schwere der strafrechtlichen Sanktionen vornimmt, sondern, zum Beispiel, Einbruch aufführt, aber nicht schwere Betrugsdelikte. In den Diskussionen dieser Wochen wird dieser Kritik gerne mit dem Hinweis begegnet, dass, wird die Initiative angenommen, der Katalog der Tatbestände angepasst bzw. im Parlament ja endgültig festgelegt werden kann. Das ist für die SVP eine ganz wunderbare Ausgangslage:

Die Initiative wird eine Mehrheit finden – nach dem momentanen Stand der Wasserstandsmeldungen und der Pulsfühlung der Befindlichkeiten im Volk. Der Unmut über zu lasch empfundene gerichtliche Verfahren, über lange, immer wieder rekursbedingt aufgehaltene Sanktionen ist grösser als das Unbehagen, mit der restriktiven Formulierung (die Ausschaffungen zwangsweise fordert) basisrechtliche Widerspruchsmöglichkeiten auszuschliessen – und dies für eine unausgewogene Auswahl von Delikten.

Wenn es am nächsten Sonntag tatsächlich zu einer Annahme der Initiative kommt, werden die Mitteparteien in den Detailverhandlungen versuchen, die Ungleichheiten in der Auswahl der Delikte ein wenig auszugleichen. Am Ablauf der Verfahren aber wird nicht zu rütteln sein. Die SVP wird sich die Hände reiben, denn der Falle ist gar nicht zu entkommen: Jeder Hinweis auf Unausgewogenheit kann dann von der SVP als Missachtung des Volkswillens gebrandmarkt werden – und wenn es in der Umsetzung der Initiative Probleme mit europäischen Gerichtshöfen gibt, wird das die SVP gerade nochmals nicht kümmern – sie wird laut verkünden, dass solche Einwände vorgeschoben sind und ein neuer Beweis dafür erbracht wird, dass wir uns ins Gängelband der EU schirren.

Allen diesen Debatten könnte ausgewichen werden: Mit einer Annahme des Gegenvorschlags, der
1. die Delikte nach objektiven Kriterien des Strafmasses bestimmt und
2. die Rekursmöglichkeiten gegen Entscheide nicht ausschliesst.

Würde dann die Politik ihre Aufgabe auch in der Überprüfung der Verwaltungen und Gerichte wahrnehmen, wenn es darum geht, dass Recht nicht nur angedroht, sondern auch vermehrt gesprochen wird (wo es denn tatsächlich daran mangelt), dann wäre wirklich etwas erreicht – ohne Rechtmässigkeiten je nach Identität unterschiedlich anzuwenden.