Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Pakistanische Fussbälle und andere Unfälle

∞  17 April 2008, 20:33

Die Credit Suisse hat 200’000 Fussbälle bestellt und verteilt diese nun gratis an das Volk, also, an bestehende und noch lieber potentielle Kunden.

Das Schweizer Fernsehen (Nachrichtenmagazin “10 vor 10”) hat nun aufgedeckt, dass die Bälle in Pakistan genäht wurden, diese Arbeit mit rund 40 Rappen pro Ball knapp halb so “gut” wie sonst branchenüblich bezahlt wurde, und zwar zu einem erheblichen Teil für Kinderarbeit.

Nun ist also anzunehmen, dass viele Kinder von auch nach unseren Massstäben anständig verdienenden Eltern sorglos und vergnügt hinter einem Gratis-Ball her rennen werden, den Altersgenossen von ihnen in Pakistan zu einem Dumpinglohn vernäht haben, ohne je selbst die Chance zu bekommen, das Produkt ihrer Arbeit in der praktischen Anwendung einmal ausführlich testen zu können.

Nun haben wir also allenthalben den Salat: Die Eltern das schlechte Gewissen, die Credit Suisse den Beinschuss ins eigene Rénommé und die etablierten Geschäftemacher im Sportartikelhandel die unangenehme Publicity.
Dabei wird nur deutlich, was zum System gehört:
Nichts, was eine Firma unternimmt, die Gewinn machen will, macht sie nicht unter dem schussendlichen Diktat minimaler Kosten und maximalen Ertrags.
Da Goodwill-Aktionen für Firmen naturgemäss ausserhalb ihres normalen Beschäftigungsfelds liegen (sic!), fehlt es oft am notwendigen Know how. Die drohenden Fallstricke sind zwar auszumachen, da alle Involvierten selbst Konsumenten sind und um die möglichen ethischen Fragen zu den Produkten wissen. Der diesen Projekten inne wohnende Zeitdruck (die besten Ideen haben es an sich, dass sie eher zu spät denn zu früh geboren werden) führt dazu, dass man sich die moralische Unbedenklichkeit versichern lässt, dabei aber das stillschweigende Wissen besitzt, dass eine Überprüfung der Angaben ausserhalb der eigenen Möglichkeiten liegt.

Mit der Auslagerung der ethischen Verantwortlichkeit an den Offertsteller begibt man sich definitiv wieder auf vertrautes Feld und vergleicht die eintreffenden Angebote hinsichtlich der Parameter, die man schon stets zu interpretieren verstand: Das billigste Angebot ist das beste, und der Hinweis auf die einzige verlässliche Prüfstelle zur Unterbindung von Kinderarbeit in Pakistan, der sich der Konkurrent gemäss dessen Versicherung selbst unterstellen würde, wird abgetan. Argumente unterlegener Mitbieter sind Behauptungen schlechter Verlierer.

Es bleibt nichts anderes übrig, als an diesem Beispiel zuzugeben, wie falsch unser globales Wirtschaftssystem läuft, und wie sehr wir alle Teil davon sind:

Ein Gratisprodukt ist nie gratis. Denn jedes Produkt kostet. Und da dies so ist, hat es einen Wert. Je einfacher ein Produkt herzustellen ist, um so mehr Firmen können es produzieren und um so schärfer ist dieser erste Wettbewerb. Der Preis wird absolut entscheidend. Das zweite Rennen bestreitet der Handel. In ihm bemühen sich die Konkurrenten erst um den Kunden, und das tun sie im Fall einer Goodwill-Aktion wahrscheinlich besonders intensiv, denn eine solche Aktion weckt besonders rege Verkäuferphantasien:

1) Eine grosse Menge eines uniformen Produkts kann auf einen Schlag abgesetzt werden.
2) Die ganze Verkaufsmenge tangiert direkt keine bestehenden Verkaufskanäle. Der klassische Fall eines reinen Zusatzgeschäftes, das keine bestehenden Absatzkanäle direkt kannibalisiert.

Damit trifft der maximale Erfüllungswillen der Anbieter auf den Initiant der Goodwill-Aktion, der keine Ahnung von diesem Einkaufsgeschäft hat, von seiner eigenen Idee aber überzeugt ist und diese um so mehr umsetzen will, als er den Eindruck erhält, der Ertrag (Kundenbindung, Image, Kundenfrequenz, Neuaquisition) stünde in optimalem Verhältnis zu erstaunlich geringen Kosten. Auf beiden Seiten des Tisches sitzen Menschen, die nicht anders ticken können oder wollen, und vom System her auch nicht müssen, als bei jedem anderen Geschäftsvorgang auch.

Ist der Auftrag vergeben, so geht es auch in der Umsetzung nach genau gleichem Muster weiter: Eben noch Verkäufer, ist der Händler nun Auftragsvergeber und das Spiel funktioniert in die andere Richtung. Störend dabei ist nur, dass der Teufel in der Not Fliegen frisst, und das für pakistanische Familien mit leerem Kochtopf was ganz anderes bedeutet als für Bürohengste in der Schweiz.

Empörend an dieser Geschichte ist genau das, was im Grunde für alle unsere Importgüter aus Übersee gilt, ganz egal, welcher Tümpel zwischen Produktion und Verzehr liegt:

Unsere Kriterien in der Produktauswahl sind auf Preis und allenfalls Qualität reduziert (wobei dies jeder ein wenig anders definieren mag). Ein Grossteil der Information, die wir für den Entscheid abrufen, beruht auf Werbung, Emotion, Gestaltung etc. Wissen über Produktion, Herkunft, Oekologie ist entweder gar nicht leicht oder nur sekundär zu erlangen. Wir bräuchten dafür…: Zeit. Und Energie.
Ist unser Kaufreiz aber geweckt, will er sofort und ohne Aufwand befriedigt werden. Und da wir einen kurzen Gang zum Regal haben, sind auch unsere Gedankengänge kurz geworden.

Wir müssen annehmen: Wo immer wir exotische Nahrungsmittel nach dem Preis einkaufen, gönnen wir in der Quintessenz dem Bauern die Brotrinde nicht und seinen Kindern sprechen wir das Recht auf Schule ab. Das ist die wirtschaftliche Realität, überall dort, wo wir den freien Markt spielen lassen.

Die Alternative? Gibt es nur in Nischensegementen. Grossverteiler, die vom Anbau bis zum Regal die Richtlinien der Produktion bestimmen und laufend unabhängig kontrollieren lassen – und mit dem Erlös wenn möglich die Bildung der Familien am Produktionsort unterstützen. Die Produkte müssen ab der Ernte bis zum Regal durch möglichst wenig Hände gehen. Und wenn es einen Handel auf diesem Weg gibt, so sollte er nach zwei Seiten so etwas wie der Anwalt sein, und zwar für die Fairness gegenüber dem Bauern wie für den Konsumenten, der Produkte aus fairem Handel kaufen will.

Ich empfehle das Geschäftsmodell von Max Havelaar in diesem Zusammenhang als richtigen Ansatz. Noch spielen Fair Trade – Produkte weltweit eine marginale Rolle mit Marktanteilen im Promillebereich – die Schweiz liegt im Vergleich aller Nationen klar auf Platz 1. Trotz unglücklich “ausgewählten” Fussbällen…

Es gibt viel zu tun. Packen wir’s an.
Es gibt viel zu kaufen. Fragen wir nach.