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Organspende: Wie entscheiden bei der vorhanden Information?

∞  4 August 2013, 22:12

Die Frage, was erfüllt sein muss, damit ich oder Sie zum Organspender werden, ist je länger je mehr nichts, was jeder Einzelne von uns “irgendwann mal” entscheiden sollte. Denn beantworten wir die Frage nicht selbst, wird sie im Fall, dass wir das Schicksal erleiden, für hirntot erklärt zu werden, für uns beantwortet. Und die dann greifenden Mechanismen, besteht hier Unklarheit über Ihren Willen, wandeln sich stark.

istockphoto.com/MHJ

Die Zahl der Organnachfrager ist nach wie vor sehr viel höher als die Zahl der Organspender. Die Transplantationen sind teuer, der Organhandel und der medizinische Eingriff ein gutes Geschäft und Teil der hoch entwickelten modernen Medizin. Die Gesellschaft tendiert dazu, dem Gemeinwohl zu entsprechen, indem sie Leben unbedingt erhält und verlängert, mit allen technisch machbaren Mitteln – der Verzicht auf ein Weiterleben, wie eingeschränkt es auch immer sein mag, führt dagegen vermehrt zu Irritationen.

Die Regelungen in den einzelnen Ländern, auch innerhalb Europas, sind sehr unterschiedlich. Längst hat sich die grundsätzliche Annahme über den Willen des Hirntoten in vielen Ländern umgekehrt: Liegt keine Patientenverfügung vor und kein Organspenderausweis, wird von der Bereitschaft zur Organentnahme ausgegangen, und nicht (mehr) vom Gegenteil. Das geht sogar so weit, dass es nicht reicht, in der Schweiz eine Erklärung hinterlegt zu haben, wenn man in Frankreich verunglückt: Dafür wäre im Land selbst ein Eintrag in den entsprechenden Registern notwendig.

Diese und so manche anderen Informationen sind nur bedingt verfügbar – und öffentlich geleistet. Die Entscheidung, was für den einzelnen “richtig” ist, ist so persönlich, dass man meinen könnte, höchstens Kirchenvertreter würden sich erdreisten, an Stelle der einzelnen Person richtig und falsch definieren und für sie entscheiden zu wollen. Tatsächlich ist aber mit der stillschweigenden Annahme der Mediziner, es liege eine Einwilligung vor, faktisch eine solche Persönlichkeitsverletzung von Staates wegen eingetreten – und für deren Legitimation braucht der Staat keine Religion. Es genügt ihm der faktische Mangel an Organen, die Not der Patienten und die selbstverständliche Annahme, dass “wir alle” doch leben wollen, so lange wie irgend möglich.

Also gilt: Der Einzelne muss sich vorsehen. Das empfehle ich auch Schweizern, auch wenn bei uns diese Mechanismen so noch nicht greifen, und ich rufe damit nicht zur militanten Verweigerung der Organspende auf. Auch das kann ich nicht. Ich kann für niemanden sonst sprechen als für mich. Aber ich kann monieren, dass gerade bei diesem Thema eines ganz deutlich wird: Das Interesse bestimmter Parteien bestimmt den Grad der Information bzw. die Schamlosigkeit der Desinformation. Dazu braucht es nicht die Falschinformation. Es genügt schon, Information wegzulassen oder unterschiedlich zu gewichten. Ich kann zum Beispiel eine Studie zur Verbesserung der Erforschung des Hirntods und zum für den Organspender schmerzfreien Verlauf ankündigen, das Resultat dann aber nie veröffentlichen, wenn es nicht so ausfällt, wie erhofft. Das geschieht laufend in allen Bereichen der politischen und gesellschaftlichen Willensbildung, aber es ist nirgends so sehr ein Menschenrecht, wie in diesen Fragen, dass dies NICHT geschieht und alle Fragen, Erkenntnisse und eben auch die fehlenden Antworten auf den Tisch gehören. Nur so kann ich versuchen, für mich selbst wirklich zu definieren, ob für mich eine Organspende als Hirntoter in Frage kommt.

Allen Befürworten wie Gegnern, die all ihre Arbeit und die Hilfen zur Bejahung dieser persönlichen Frage mit gesicherten Fakten – oder eben der Ausbreitung der offenen Fragen unterstützen und damit den absoluten Respekt vor uns als Person wahren, kann nicht genug gedankt werden.

Im Dossier auf mycomfor mit dem Thema Organspende und Transplantation ist heute ein Update erschienen, das ich gerne weiter empfehle:

Unter “5. Sicht Ethik” wird auf die “Entscheidungshilfe zur Organtransplantation” der Evangelischen Landeskirche Baden verwiesen (neue Artikel am Ende): Auch Nichtchristen bekommen dabei ein Gespür für die ganz persönlich zu klärenden Fragen nach dem Verhältnis zum eigenen Körper, der inneren Identität und den Einschränkungen, die ganz praktisch in einem solchen Fall greifen, sei es im Sterbeprozess oder in der Trauerarbeit. Und dies alles, ohne den persönlcihen Entscheid des Einzelnen “steuern” zu wollen.

Auf mycomfor sind mittlerweile mehrere sehr umfassende Dossiers entstanden, und jenes über die Organspende ist ein Musterbeispiel für eine Artikelsammlung, welche Grundsatzfragen, Pro und Contra neben einander sammelt – und so seinen Beitrag für jeden Einzelnen leisten will.