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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Offener Brief an Philipp Lahm

∞  27 Juli 2014, 23:11

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Sehr geehrter Herr Lahm

Sie sind aus der Deutschen Fussballnationalmannschaft zurückgetreten. Sie muss zukünftig ohne ihren Kapitän auskommen. Sie sind erst dreissig, auf dem Zenit Ihrer Fähigkeiten, und deshalb hat mich, hat wohl alle Ihr Entscheid überrascht. Was Sie dazu aber in der Zeit in dieser Woche ausgeführt haben, nötigt mir allen Respekt ab, und erlaubt es mir und uns Allen, über das Wesen von Erfolg und Misserfolg tiefer nachzudenken und so einige Mythen des medialen Hypes gerade zu rücken.

Sie nennen nach dem Erleben Ihres grössten Erfolges und trotz dem gewonnen Champions League – Final gerade jetzt auch Ihre grössten Niederlagen. Und bringen es auf den Punkt:

Sie haben im verlorenen Match gegen Chelsea in München eines Ihrer besten Spiele gemacht – und trotzdem verloren. Die ganze Mannschaft hat gut gespielt, hätte es verdient, zu gewinnen. Ein Jahr später reichte es zum Sieg, und das war genau so wenig wirklich erklärlich: Im Fussball, sagen Sie, liegen Sieg und Niederlage so verdammt dicht beieinander. Und Sie fragen:
“Wie wäre das WM-Finale wohl ausgegangen, wenn Gonzalo Higuaín in der 22. Minute für Argentinien getroffen hätte? Oder eine andere Chance genutzt worden wäre? Ich möchte nicht darüber nachdenken.”

Und doch tun Sie es, und das macht die Gedanken um Ihren Rücktritt so wertvoll und besonders. Denn genau dies ist Fakt:

Im Fußball, in ihrem Beruf, liegen Sieg und Niederlage so verdammt dicht beieinander, sagen Sie.
Es gibt niemals die abschliessende, schlüssige Erklärung für den eigenen Erfolg oder das Scheitern. Es ist immer eine Prise Zufälligkeit dabei, die wie eine willkürliche, unlogische Laune des Schicksals erscheint und im Grunde uns alle fragen lassen muss: Warum geschieht mir das? Warum geht jetzt alles auf? Warum ging der Ball an den Pfosten und nicht ins Tor?

Es gibt den selbstbestimmten Ablauf auch für Spitzenkönner nicht wirklich. Im Fussball nicht – und in jedem anderen Beruf auch nicht. Sport ist wohl deshalb so faszinierend, so sehr ein Fixierbild der Fügungen, die zu jedem Erfolg dazu gehören, weil der Zufall ein Bild bekommt: Die verpasste Grosschance, der knallende Pfosten – und dann der eine Fehler im dümmsten Moment – und danach muss man sich dann als Protagonist anhören, wie Argumentationsketten gebildet werden, warum genau dies so geschehen musste – und man hört Konkurrenten sagen, sie hätten so hart für diesen Erfolg gearbeitet und ihn verdient. Auch Sie sagen das. Aber Sie bringen zum Ausdruck, dass es gleichzeitig eine Anmassung darstellt. Denn die Konkurrenten haben ebenfalls alles für den Erfolg getan. Sie sind in diesem Finale nicht in Führung gegangen, obwohl sie die besseren Chancen hatten. Es hätte das ganze Spiel verändert. Es ist nicht geschehen. Warum, wissen wir alle nicht. Das ist die Wahrheit.

Will man in einem Beruf bestehen, muss man nach den beeinflussbaren Faktoren suchen und alles dafür tun, dass sie zu den eigenen Gunsten wirken können – und dazu gehört die eigene Leistung und hoffentlich auch die Fairness, der Respekt vor Regeln und Gegnern. Sie haben das eindrucksvoll immer gelebt. Und werden es weiter tun. Wir ziehen den Hut!

Sie beschreiben auch die stets steigende Intensität. Konnte man früher fünfzehn Jahre auf höchstem Niveau spielen, fühlen Sie sich heute nach zehn Jahren ausgelaugt. Sicher auch, weil Sie als Kapitän gerade in den Niederlagen mehr Kraft benötigten als andere, denn Sie mussten vorangehen, den positiven Rückschluss aus dem Geschehen suchen und festmachen und weiter vorangehen.

Ja, unser Leben gehört uns, und Ihr bewusster Rücktritt, lange voraus schon vorgefasst, ist eine Demonstration: Sie haben sich die Möglichkeit erarbeitet, genau diesen Entscheid selbst zu treffen: Wann es – auf dieser Ebene – genug war und ist. Sie reden in diesem Zusammenhang von Respekt und Demut gegenüber dem Job.
Sie sind dankbar, dass Sie diese Entscheidung treffen können, diese Grenze ziehen mögen, weil Sie Erfolg und Misserfolg abwägen können, von beidem lernen konnten.

Sie sagen, Sie möchten Ihr Leben selbst bestimmen, das heißt: Entscheidungen treffen, bevor sie Sie einholen. Was Sie nicht sagen, ist, dass Sie sich sehr bewusst sind, dass es viele weitere Situationen geben wird, in denen uns das nicht möglich ist. Um so wertvoller sind jene Momente, in denen wir die Zeichen für bewusste Entscheidungen nutzen können.

Ich danke Ihnen für Ihr Beispiel. Für Ihren Respekt und die Fairness, die Sie immer zeigen. Ich wünsche Ihnen Erfolg und glaube, dass Sie den weiter haben werden. Auf vielen Ebenen. So richtig erklären kann ich diesen meinen Glauben nicht. Wünschen aber tue ich es Ihnen auch.

Freundliche Grüsse
Thinkabout – im besten Sinn ein Fan