Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Ösis, Teutonen und Eidgenossen zum Liebhaben

∞  7 Juni 2008, 15:30

Wie wir uns lieb haben (könnten), und was uns – unter vielem anderem – so faszinierend unterschiedlich macht.


Noch ist die Fussball-EM 08 nicht angepfiffen. Zeit, ohne falsche Verdachtsmomente bezüglich meiner Motivation nochmals auf einen besonderen Umstand hinzuweisen: Es ist wohl das erste Mal, dass eine EM auf deutschsprachigem Boden ausgetragen wird und alle drei “grossen” (sorry, Liechtenstein) Länder mit deutscher Landessprache daran teilnehmen. Das war für die Talk-Sendung Nachtcafé des SWR Grund genug, Wilfried Backes die Frage stellen zu lassen: Ösis, Eidgenossen und Teutonen: Nachbarn zum Liebhaben?. Da das Verhältnis zu Deutschland für uns Deutschschweizer stets ein Thema ist und wir genau zu wissen meinen, was wir von unseren Nachbarn zu halten haben (und sie von uns), ist das natürlich jetzt DAS Thema. Dazu passt auch, dass ich mich hier ja vermehrt auch mit Österreich auseinandersetzen möchte. Danke daher Dir, Gabi für Deinen Hinweis!
Es seien an dieser Stelle, ohne grossen weiteren Kommentar, ein paar Aussagen wiedergegeben, die gestern in der Sendung von den Talkgästen gemacht wurden:

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Im Grunde wollen wir uns liebhaben. Die Tatsache, dass wir uns unter einander akustisch verstehen, macht es nur offensichtlich und schwieriger, jene Situationen hinzunehmen, in denen wir das nicht verstehen. Bei Italienern und Franzosen stört uns das nicht, obwohl wir eigentlich diese Länder noch viel weniger verstehen (DJ Bobo, Schweizer)

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Für Peter Roos (deutscher Schriftsteller, in Wien lebend) ist das Alltagsklima in Wien in den letzten drei, vier Monaten unerträglich geworden. Er stellt eine aufgeheizte Stimmung gegenüber dem “Lieblingsfeind Deutschland” fest. Und er weist auf den Skandal hin, dass die deutsche Nationalhymne beim letzten Freundschaftsspiel von den österreichischen Zuschauern niedergeschrien wurde.

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Die Schweizer machen es den Deutschen mit ihren festen Vorurteilen nicht unbedingt leichter (Katrin Wilde, in der Schweiz abgelehnte und wieder nach Deutschland zurück gekehrte Ratiomoderatorin).

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In Sachen Gastfreundschaft sind die Österreicher bei ihrer ersten Kontaktaufnahme in ihrer Freundlichkeit absolute Spitze.

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Deutschen ist es im Ausland, nicht nur in der Schweiz eigen, dass sie es einfach nicht realisieren, wenn sie auf die Nerven gehen (Philipp Tingler, deutscher Schriftsteller, seit vielen Jahren überzeugter Wahlzürcher mit Berliner Wurzeln).

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Wofür die Deutschen die Österreicher beneiden, ist deren Intonation der Sprache: Der Charme des ganz eigenen Singsangs in der Aussprache.

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Die Rede des Deutschen ist: “Ja!” oder: “Nein!”.
Der Wiener sagt: Jein.
Und er sagt auch:
“Ja, da werden wir schau’n.” Was er meint, ist: “Vergiss es!”
Der Vertröstete aber geht nach Hause und freut sich noch 24 Stunden, in der Meinung, dass für ihn gesorgt wird. Was ist daran so schlecht? (Birgit Sarata, mehrfache Industriellengattin, Operettensängerinn, natürlich für Hauptrollen, und Mitglied der Wiener Gesellschaft, also, der wirklichen, des kleinen Kreises, wie sie es selber betont).
Peter Roos “ergänzte” sie nicht nur hier in der Diskussion:
“Der Wiener sagt auch nicht: “Entweder, oder”, sondern er sagt: “Entweder und oder.”

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Philipp Tingler: “Wenn ich nach Berlin zurück komme, dann geniesse ich durchaus zuweilen den stark berlinerischen Impuls, rasch auf den Punkt zu kommen.”

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Der Teuto-Touri (Peter Roos) ist willkommen, aber der Alltag gestaltet sich für einen in Wien lebenden Deutschen wahnsinnig schwierig. Er fühlt sich wie ein “Seltenheitsmitglied in der Diaspora” und er stört sich extrem an “diesem Pseudo-Hofieren, bis ‘der Arsch’ sich umgedreht hat.”
Die Deutschenfeindlichkeit hindere aber die Österreicher nicht daran, die Deutschen zum schwer Arbeiten immer willkommen zu heissen. Dabei kommen sie in der Umgangssprache nicht aus Deutschland, sondern “von draussen”.

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Was uns unterscheidet, ist unsere gemeinsame Sprache. (Bruno Ziauddin, Schweizer Weltwoche-Journalist).

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Die Schweizer fühlen sich den Österreichern tendenziell überlegen und empfinden die Deutschen als arrogant… (DJ Bobo). Aber die Schweizer sind nicht elitär. Dagegen haben wir etwas, solches Gehaben macht uns misstrauisch und extrem kritisch.

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Den ausgeprägten Pragmatismus der Schweizer und ihre Weltoffenheit erkennt man am besten am folgenden Phänomen: Selbst in der Schweiz versucht sich der Schweizer einem Ausländer sofort anzupassen, indem er nach dessen Herkunft fragt und dann bemüht ist, in dessen Sprache ein paar Worte zu sagen. Daran erkennt man auch das Selbstvertrauen des Schweizers. [Sinngemäss:] Er hat keine Angst vor Fehlern, der Lernende zu sein (Philipp Tingler)

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“Unsere Mitarbeiter und vor allem unsere Gäste sind unser Spiegelbild.”
Und:
“Gastgeber wissen: Das Glück des Lebens ist das Geben.” (Balthasar Hauser, Tiroler Stanglwirt)

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Peter Roos: Es werden in Österreich Werte gepflegt, die in Deutschland längst vorbei sind.
Man sagt und meint:
“Danke.”
“Das mach’ ich gerne.”
Und in der Strassenbahn ertönt regelmässig eine Durchsage über Lautsprecher, man möge doch älteren Passagieren den Platz frei machen.
Österreich kennt und pflegt im Gegensatz zu Deutschland eine deutliche Entschleunigung.

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Und zum Abschluss der (alte) Witz von Wilfried Backes, Moderator, über das Gespräch zwischen einem Österreicher und einem Schweizer. Sagt der Österreicher:
“Komm, wir sind doch so ähnlich. In den Flaggen haben wir sogar die gleichen Farben.”
“Ja,” antwortet der Schweizer, “nur haben wir das Plus, und ihr das Minus.”


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Willkommen, liebe Gäste, auch aus Deutschland, zur EM in der Schweiz und Österreich. Sorry: In Österreich und in der Schweiz.

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