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Norwegen: Offen bleibende Herzen einer offenen Gesellschaft

∞  25 Juli 2011, 21:41

Die Norweger und ihre Politiker stehen zusammen – für den Erhalt einer offenen Gesellschaft. Das ist bewundernswert. Und ein Dienst an uns Allen, für unser aller Lebensqualität und die politische Freiheit.


Die ganze Welt stand nun jahrelang unter dem Bann der Bedrohung durch den Terrorismus. Doch alle fanatischen Parolen muslimischer Fundamentalisten und ihrer terroristischen Netzwerke und kaum ein praktischer Versuch, tatsächlich Tod und Zerstörung zu säen, waren so durchschlagend verhängnisvoll wie die Tat eines Einheimischen, der in krudem Irrsinn glaubt, genau damit den Islamismus in seinem Land Norwegen zu bekämpfen.

Unglaublich, dass ausgerechnet in dieser Weise die gesteigerte Aggression im Terrorismus – und in seiner Bekämpfung – sich entladen konnte. Und um so wunderbarer, erstaunlicher und bewundernswerter sind die ersten Reaktionen der Menschen in Norwegen, die im Ereignis genau die hauptsächliche Gefahr erkennen, die tatsächlich besteht:

Norwegen wehrt sich gegen die Abschottung, will sich die weltoffene Kultur der politischen demokratischen Debatte nicht rauben lassen – und steht in der Trauer in diesem Bewahrungskampf zusammen. Die Besonnenheit der Kommentare der Politiker beeindruckt sehr. Niemand mag zur Zeit mit dem Ereignis Parteipolitik betreiben – alle kämpfen für die weltoffene Gesellschaft: Jetzt erst recht.

Dabei hat Norwegen ein sehr strenges Einwanderungsgesetz. Wer aber im Land Aufenthaltsrecht geniesst, der soll als Teil der Gemeinschaft wahr genommen, integriert und im Diskurs beteiligt sein. Nicht nur als Thema, sondern als Person.

Ich weiss, der Vergleich ist unstatthaft, und er soll sich in keiner Weise gegen das amerikanische Volk und seine Regierung richten, denn 9/11 war ein Anschlag ganz anderer Dimension mit einer allgemein offenbar werdenden Bedrohung, die niemand richtig einschätzen konnte – und die USA sind seit je her ein Land, das militärisch agierte – auch zum Schutz, ja der Befreiung Europas, das wollen wir nicht vergessen. Und dennoch sei es erlaubt, zu träumen:

Man stelle sich vor, ein amerikanischer Präsident könnte sich in Ground Zero nach 9/11 neben den alten Feuerwehrmann stellen und das Volk dazu aufrufen, gerade angesichts eines brutalen Anschlags auf Menschen beliebiger Herkunft in Amerikas Mitte sich nicht zu einer allgemeinen Verurteilung einer Menschengruppe hinreissen zu lassen, die demokratischen Errungenschaften zu verteidigen und in gesellschaftlicher Achtsamkeit statt staatlicher Wach- und Bewachsamkeit zusammen zu stehen, um die Freiheit Amerikas und der Welt in seinen echten Errungenschaften der Demokratie zu verteidigen.

Was wäre aus der Welt geworden, hätte der mittelbare Zwang zur starken Reaktion die USA nicht in den Irak-Krieg getrieben, weil die energiewirtschaftlichen Rohstoff-Interessen sich nicht hinter dem Deckmantel der verletzten Nation hätten verstecken können?

Norwegen leistet mit seinem Anspruch, seine politische Kultur des offenen friedfertigen Dialogs gegen diffuse Ängste gesteigerter Bedrohungen zu verteidigen, eine ganz wichtige Arbeit, die auch unter den verschiedensten Ländern seine Fortsetzung finden könnte. Wenigstens in kleinsten Ansätzen. Wir wollen ja nicht gleich den Zynikern jedes Recht geben, uns hoffnungslose Naivlinge zu nennen. Aber es geht für die Norweger um einen sehr realen Kampf um ihre Identität. Da ist nichts Naives dran, ganz im Gegenteil. Die Menschen spüren ganz genau, was sie und ihr Miteinander ausmacht.

Liebe Menschen Norwegens

Ihr habt unser Aller tiefstes Mitgefühl für den Schmerz über das Unfassbare – und ihr erfährt hoffentlich auch den Dank für das Beispiel an Haltung und Entschlossenheit, mit dem ihr den Frieden und die Besonnenheit sucht. Ihr sollt diesen Frieden wiederfinden, darin gestärkt werden und damit uns allen ein Zeichen der Stärke schenken: Es lohnt sich, für das zu kämpfen, was lange vor uns für uns schon in unseren Gesellschaften an Offenheit erstritten wurde.