Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Niemand soll mehr traurig sein

∞  20 Oktober 2013, 20:39

Tahiti hat am Confederations-Cup mitgespielt. Die Hobbykicker von der Insel waren der halben Welt sehr sympathisch, und über das historische Tor, das sie erzielten, haben wir uns auch gefreut. Aber im Grunde, na ja, oder? Haben wir das auch ein wenig peinlich gefunden. So ganz ohne Chance sein, während es für alle andern um Leben oder Tod geht…

Und diese unterschiedliche Gemütslage setzt sich nun fort. Tahiti wird zum Revolutionär des Fussballs: Der nationale Verband führt eine neue Punkteregel ein. Statt 3-1-0 gibt es künftig für einen Sieg vier, für ein Unentschieden zwei – und für eine Niederlage immerhin noch einen Punkt.

Und das ist die Begründung des Verbandssprechers (die wir schon geahnt haben…):

»Wir wollten einfach, dass niemand traurig ist«, sagte Verbandssprecher Charles Ariiotima gegenüber ESPN Brazil und ergänzte: »Mit diesem System hat selbst ein Team, das alle Spiele verliert, am Ende der Saison nicht null Punkte. Fußball ist zuallererst Freude.«

Quelle: 11 Freunde

Hoppla. Freude? Fussball ist die zur Schau gestellte absolute Leistungskultur. Das nächste Spiel ist immer das schwerste, das man auch gewinnen muss, ein Meister kann gerade mal eine Woche feiern, dann zählt wieder nur der nächste Wettbewerb – und nicht nur den Trainern schwillt der Hals, wenn der Ball nur an den Pfosten geht statt rein ins Tor. Die Kapriolen des Fussballs bewegen die Welt. Und ganz selten ist es wirklich einfach nur Spass. Aber das ist, natürlich, überhaupt nicht die Antriebsfeder, die uns bald jeden Tag “wichtige” Spiele ins Haus flimmern lässt. Und den Fans, den Zuschauern ist die Umtriebigkeit rund um die Ungewissheit des nächsten Resultats eine Art Fokussierung auf Zufälliges und Launiges ausserhalb der Logik – und doch tatsächlich so was wie Religionsersatz. Kann man immer mal wieder lesen. Allerdings wird in diesen modernen heutigen Tempeln eindeutig mehr geflucht, als das je zuvor der Fall gewesen sein dürfte. Aber wir brauchen ja wohl, nach eigener Anschauung, gar keine Kirchen mehr. Wir brauchen Arenen und Gladiatorenkämpfe – in denen sich Teile der Gesellschaftskultur spiegeln. Die Dreipunkteregel im Fussball, wurde, übrigens, eingeführt, um den Sieg gegenüber dem gemauerten Unentschieden mehr zu gewichten. Mehr Attraktivität sollte das bringen. Hat es auch. Aber mehr Freude? Es gewinnt auch heute noch nur einer…

Im nordamerikanischen Eishockey haben Sie es noch weniger kapiert. Dort gibt es für einen Sieg noch heute nur zwei Punkte, egal, ob man ihn in der regulären Spielzeit, in der Overtime oder im Penaltyschiessen erringt. Aber gewonnen muss werden. Ein Unentschieden im Eishockey? Das gibt es gar nicht. Ist für den Ami völlig unvorstellbar. Die Würze ist nicht die Freude, das Ziel ist der Sieg. Punkt. DAS ist die Faszination, die der Sport zur Religion gemacht hat – bzw. die Religion, die der Sport abbildet. Denn er ist tatsächlich ein Spiegelbild der Gesellschaft. Er kann gar nicht anders, weil es nichts gibt, was in dieser Gesellschaft mehr Beachtung erfährt.