Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Nicht nur meinem Vater gewidmet

∞  22 Februar 2007, 19:40

Wie manche Kindheit wird behindert, weil die Eltern in der Kunst, einander die eigenen Gefühle zu zeigen, nicht geübt sind?

Die Eltern lieben ihre Kinder und im besten Fall auch einander, immer noch, und so kämpfen sie in bester Absicht gegen die eigenen Erfahrungen an, schleppen eigene Verletzungen mit sich rum, suchen das Grundvertrauen in sich und zu sich selbst. Im besten Fall ist es ein bewusster Kampf, eine Auseinandersetzung, ein Lernen, für das sie begreifen, wie sehr das eigene Kind hier auch Hilfe sein kann, Lehrer gar, in seinem natürlichen Drang, Vertrauen entwickeln zu wollen.

Aber wahrscheinlich bricht die eigene erwachsene aber nicht ausgewachsene Sehnsucht nur in den Momenten neuer Verletzung und Zurückweisung auf, und das tägliche Verhalten wird gebremst vom Verdrängen des stummen unbewussten inneren Widerstreits zwischen Sehnsucht nach Liebe und der Angst vor (neuer?) Zurückweisung.

Und das Kind? Es beobachtet, imitiert, lernt…

Am Flughafen Familien zu beobachten, die sich nach einer Reise wieder sehen, ist etwas sehr Intimes. In einzelnen Standbildern werden lange schmerzvolle Geschichten erzählt:
Wie oft etwa steht der Vater da etwas abseits. Der Sohn empfängt von ihm einen kurzen Klaps auf die Schulter, während die Körper der beiden Männer eigentlich eine Spannung in sich tragen, die sich in gegenseitiger Nähe auflösen sollte… Da stehe ich dann fern und doch dabei und möchte den älteren der Beiden so herzlich gern mit ausgebreiteten Armen vorwärts schubsen, in das Glück der Umarmung… als Schenkender, der beschenkt wird…

Die emotionale Gefangenschaft dieser Männer, die in ihrem Verhältnis als Zeugen für so viele andere stehen, ist beklemmend. Ich begreife in diesem Moment, wie verbreitet diese stumme und doch sichtbare Katastrophe zwischen Vater und Sohn in unseren Breitengraden ist. Oder gar überall?

Irgendwie ist mir jetzt kalt. Das einzig warme in mir ist die eigene Wehmut: Wie vertraut ist mir, was ich sehe und dabei fühle – und wie froh bin ich, zumindest glauben zu dürfen, dass ich auch so ein Sohn bin, der von seinem Vater gerne in den Arm genommen worden wäre. Ich lächle für mich und denke durchaus mit Liebe an diesen Mann, der sich selbst einen Gutenacht-Krimi wie Derrick nicht ansah, weil er dabei emotional zu sehr mitging, während es ihm davor und danach nicht möglich war, seine Tränen im realen Leben erlösend wirken zu lassen – und sie zu verschenken. Da blieb ein weites Herz stumm gefangen und fremd, das so viel zu geben gehabt hätte und dem so viel zu schenken gewesen wäre.

Ruhe in Frieden und göttlicher Liebe. Der Schöpfer ist Lehrmeister, und wer weiss, ob mit dem Ende des eigenen Lebens das Lernen wirklich vorbei ist – oder nicht vielmehr erst beginnt?

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Beitrag ausgelöst durch einen alten Text vom 22.10.04, hiermit neu erarbeitet.