Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Nationalschaudertag

∞  1 August 2012, 21:24

Tag 5 der Olympiade in London, später Vormittag: Lukas Studer steht als Moderator im Olympiastudio des Schweizer Farbfernsehens und verkündet mit leuchtenden Augen und glühenden Wangen, dass dies der Tag mit vielen Medallien fürs Schweizer Team werden würde. Das gestaltet sich dann so:

Die Schweizer Fechter, zu den absoluten Topfavoriten gehörend, scheiterten beide diskussionslos schon im Achtelfinal, der Wildwasser-Kanute Mike Kurt soff im Halbfinal ab, nachdem er ein Tor verpasste, Fabian Cancellara war nach seinem Sturz im Strassenrennen so sehr handicapiert, dass er heroisch aber chancenlos auf den 7. Platz im Zeitfahren fuhr, die Titelverteidiger im Tennisdoppel, Federer und Wawrinka, scheiden in der zweiten Runde gegen Israel aus, und die Fussballmannschaft verliert auch gegen Mexiko und kann die Koffer packen. Auch Kuhn/Zumkehr verlieren im Beachvolleyball und müssen ums Weiterkommen zittern. Am Ende des Tages bleibt nur der Sieg Roger Federers im Achtelfinal der Tennis-Einzelkonkurrenz. Das war’s. Zählbar – immer im Sinn der Sportreporter mit den grossen Schlagzeilen, ist davon nichts wirklich, geschehen ist aber auch nicht so viel, was ausserordentlich tragisch wäre: Im Fechten genügen zwei, drei schlechte Minuten, und ein Gefecht ist verloren, Mike Kurt’s Nerven haben schon zuvor zweimal bei Olympia nicht gehalten, die Fussballer waren von Anfang an nicht wirklich gut, und im Doppel spielen eingespielte Paarungen meist besser als gute Einzelkönner. Und von Cancellara eine Medaille zu erwarten, war nach dem schlimmen Sturz im Strassenrennen utopisch.

Es ist dies auch so eine Entwicklung, die man nicht wirklich toll finden muss: Immer öfter werden vollmundige Prognosen vorgenommen und die Sportler regelrecht ermuntert, die Medaille auch verbal ganz laut im voraus schon in den Mund zu nehmen. Immer nach dem Motto, dass der Ehrgeiz und die entsprechende Zielsetzung Voraussetzung für grosse Taten ist – auf jeden Fall lässt sich das offenbar besser verkaufen und lockt die Zuschauer scheinbar, so das Kalkül, eher vor den Bildschirm.

Es ist ein paar Jahre her, als es uns in Australien auffiel: Wir konnten Sportübertragungen sehen, und wollten dann interessiert erfahren, wer am Schluss auf dem Treppchen stand. Was wir dabei aber erfuhren, waren nur die Resultate der Einheimischen, ohne dass man einen Sieger genannt hätte, wenn er aus einem anderen Land kam, oder einen Zweiten oder Dritten. Heute ist das bei uns genau so möglich, und ich finde das, schlicht und einfach, einfach ein demaskierendes Zeichen unserer Gesellschaft. Dass dann die gleichen Protagonisten der Medienformate im nächsten Beitrag womöglich über Fairness-Bemühungen von Verbänden berichten, macht die Sache dann erst richtig lächerlich.