Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Nachfassen

∞  15 November 2012, 19:30

Wenn ich mir so ansehe, was ich heute zu erledigen versucht habe, dann fällt mir auf, dass ich bestimmt in 80% der Fälle erst einmal “nachfassen” musste. Mir scheint, versprochene Dinge, vereinbarte Termine etc. müssten heute sehr viel häufiger angemahnt werden.

Dass eine Arbeit eintrifft, ohne dass man Druck machen muss – das wird scheinbar immer seltener. Und wenn ich auf der andern Seite auf mich und auf unserer Firma blicke, dann gilt womöglich Gleiches. Ich will es mal auf eine verlässliche Ebene bringen und eine Aussage treffen, die ganz bestimmt keine Vermutung ist:

Meine freien Tage sind in Häppchen aufgeteilt. Würde ich einmal Tage ausschliesslich an einem Projekt arbeiten wollen, so müsste ich viele scheinbar kleine “noch-rasch-Dinge” radikal ausmerzen, mich darin trainieren, dem Impuls gar nicht erst nachzugeben, denn wenn meine Gegenbewegung nicht so früh einsetzt, hat es schon begonnen: Das Aufdatieren meiner Informationsboxen:

Blogmännchen von
istockphoto.com/koun

Früher haben wir “Zivilisierten” Radio gehjört und später dann auch fern gesehen. Bis die Leute vier Stunden pro Tag vor der Glotze sassen. Heute “informieren” wir uns über Facebook, Twitter, GooglePlus, Medien online, Blogs, Fernsehen, Radio (ja, noch immer), wir mailen und chatten, und die Zeitungen sind auch noch nicht ganz ausgestorben. Aber wir nehmen sie kaum mehr zur Hand. Wir lesen sie jetzt im Internet, wo im Browser garantiert gleichzeitig noch ein paar andere Tabs offen sind und die nächste Ablenkung bereits drängt.
Nicht wenige von uns unterhalten gleichzeitig einen Twitter-, Facebook- und GooglePlus-Account und tun dies nicht zuletzt, um den eigenen Webauftritt zu promoten. Wir sind aber da auch die klassischen User, denn wir interagieren, geben und nehmen Informationen. Dieses “noch rasch checken” der “Neuigkeiten” kann sehr leicht sehr schnell uferlos werden. Und dabei machen wir uns lieber nicht allzu deutlich, dass auch jene, welche diese Portale nur passiv konsumieren, sich auch nicht anders verhalten als wir – denn sie haben aus anderem Anlass auch schrecklich viele Interessen und sind deshalb auch nicht konzentrierter, wenn sie denn mal “vorbeischauen”.

Würde ich heute das Buch, das nie entstanden ist, doch noch schreiben wollen, ich müsste meinen Tagesablauf radikal umstellen. Und ich müsste mindestens fünf solche “Noch-Rasch-Impulse” bezwingen, womöglich mehrmals pro Tag. Das an sich Verrückte daran ist, dass diese vielen Kontaktbörsen, diese regelmässigen Content-Fütterungen für gemeinsame oder eigene Portale nicht nur zu einer regelmässigen Aufgabe werden: Durch die Interaktionen mit anderen “Usern” entsteht ein Geflecht von “Beziehungen”, die man irgendwann so zu gewichten beginnt, dass man das Gefühl hat, man werde im Internet erwartet – und sich entsprechend gebunden fühlt.

Natürlich wachsen einem die Projekte auch ans Herz – es ist toll, wie viel Kreativität man ins Netz tragen, wie sie da auch entfacht und belebt werden kann. Aber alle diese Tools tragen die gleiche Krux in sich: Sie kämpfen um unsere Aufmerksamkeit. Da dies schwierig ist, bzw. nach dem Anlocken nur ganz wenig Zeit bleibt, um den Leser zum User zu machen, beherrschen Formate wie Facebook es meisterhaft, gleich den nächsten Impuls anzubieten. Im Gegensatz dazu ist thinkabout.ch eine verstaubte, ultra öde Kiste.

Dieser Tage hat mir ein von mir sehr geschätzter Mensch, der durchaus hell belichtet durchs Leben geht, in einem Mail erzählt, er fände Facebook “verwirrend”. Dies ist treffend, und ich bin überzeugt, dass es gewollt ist:

Das Internet vernetzt, mit welchem Tool auch immer, grundsätzlich alle mit allen, und bleibt doch – mindestens so lange wir uns nicht in eine Situation bringen, in der wir uns ganz einem Gespräch oder den eigenen schon vorhandenen Gedanken widmen können – ein Medium, das uns mehr zerstreuen als zentrieren will.

Wir verlernen Konzentration. Wir verlernen auch Termine. Das sind übrigens Zeitpunkte, an dem wir uns (oder bis zu dem wir uns) nur um die eine Sache kümmern wollen. Oder wollten. Denn, wie gesagt, man muss in aller Regel nachfassen.

Vergisst man die Pendenzen der anderen, ist man unter Umsätnden definitiv der Dumme – und gibt diesen anderen nicht die Gelegenheit, dass sie einen “bei der Gelegenheit” an etwas erinnern können, das wir total vergessen haben.