Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Nach dem Willen des Volkes

∞  14 November 2011, 19:52

Dem Hantieren von Thinkabouts Wife in der Küche zugesehen – und den Gedanken von Frank Schirrmacher über Demokratie in Europa zugehört. Wie mir der Mann aus der Seele spricht! Die Reaktionen der Politik auf das zwischenzeitliche Ansinnen Griechenlands, das eigene Volk über die Massnahmen zur Bewältigung der Schuldenkrise abstimmen zu lassen, machen mich noch immer nachdenklich.


In Deutschland will man über den Bau eines Bahnhofs abstimmen, aber die Griechen über das Schicksal des eigenen Landes abstimmen zu lassen, das geht nicht?

Darin liegt nicht nur ein Affront, sondern eine enorm grosse, grandios verpasste Chance: Das Resultat ist nun eine offen da liegende Angst vor dem womöglich bald laut grollenden Volk – statt die Möglichkeit, von eben diesem Volk mit einem Bekenntnis zu Europa überrascht zu werden. Man stelle sich vor, es wäre gelungen, in einer öffentlichen Debatte die Idee Europa im demokratischen Prozess legitimieren zu lassen und die Belehrung geschenkt zu bekommen, dass das Volk sehr viel mehr bereit ist zu (er-)tragen für eine Idee – und die Korrektur von Fehlern, als die kleinformatigen Politiker sich je denken könnten. Man stelle sich weiter die Wirkung auf die Märkte vor, könnten Regierungen plötzlich mit der Kraft der erhaltenen demokratischen Legitimatin unbequeme Massnahmen tatsächlich strukturell durchsetzen, statt mit Hebeln, die nicht funktionieren, Anleihen, die kein Mensch zeichnen will und anderen Phantastereien an einem Kasten herum zu flicken, der so erst recht aus dem Leim fallen wird.

Ist uns, dem Volk, ist unserem demokratischen Vermögen eigentlich so wenig zuzutrauen? Und ist eine Politik, die sich am Volk vorbei mogelt, eigentlich in jedem Fall die bessere Variante als ein (vermeintlich) falscher Volksentscheid?

Wo bleibt das Bewusstsein, dass ein wirklich bekannter, weil in einem demokratischen Prozess wirklich ermittelter und diskutierter Volksentscheid in jedem Fall besser ist als ein Lavieren in einem Experimentierfeld, in dem keiner die wirlich richtige Lösung kennt. Muss man aber ein immer neues Scheitern von Lösungsansätzen einem Volk verkaufen, so wäre es wohl sehr viel besser, dieses Volk hätte zur allgemeinen Stossrichtung ja gesagt. Wenn dann, wenn nicht jetzt das Volk tatsächlich über die Idee Europa diskutieren lassen und so in Erfahrung bringen, was diese Idee dem Volk wert ist?

Frank Schirrmacher ist durchaus optimistisch. Er glaubt, dass auch in den repräsentativen Demokratien die Notwendigkeit zu zeitweisen Volksabstimmungen über die wirklich grossen Linien, die Ideen der Politik als Gemeinschaft, erkannt werden wird und im Ergebnis eine Neu-Gestaltung Europas möglich ist, welche geschichtsträchtige Ausmasse erreicht. Dafür aber werden wir dann tatsächlich die Verbindlichkeit der Schulden, die wir abzutragen haben, in einen höheren Kontext stellen müssen als in die kurzfristige Frage nach einer Zahlung einzelner Gelder: Wir haben zu fragen, welches Europa wir wollen – und was es uns kosten soll. Und wir sind endlich ernst zu nehmen in unserer Bereitschaft, die Ärmel für eine gemeinschaftlich legitimierte Idee hoch krempeln zu können.