Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Mit in Europa?

∞  1 Dezember 2011, 21:44

Europa war und ist keine Familie. Dabei wäre es hilfreich, der Krise mit Mechanismen zu begegnen, wie sie in einer Familie ganz natürlich erscheinen: Jeder leistet sichtbar einen Anteil an Verzicht und zusätzlicher Leistung – mit dem Effekt, dass schon kleine Schritte sofort etwas bewirken können – auch in den Menschen, sind sie erst mal auf den Weg gebracht.


Angela Merkel will keine Eurobonds. Und sie will vor allem keine festgeschriebenen erweiterten Interventionsrechte für die Europäische Zentralbank. Dabei erscheint gerade dies den Playern und Kommentatoren reihum doch die plausible und einzig gangbare Lösung: Die Fachleute der EZB agieren als Sicherheitsgarant für Staatsanleihen und schaffen neues Vertrauen an den Märkten.

Merkel sagt, dass dies das verheerend falsche Signal an die verschuldeten Staaten wäre, weil es dazu führen würde, dass der Sanierungsdruck plötzlich wegfiele – und darauf spekuliert werden könnte, als Regierung eines überschuldeten Landes, mit dem Vertrauen auf die Wunderwirkungen einer im beruhigten Markt wieder anziehenden Wirtschaft, dem eigenen Volk keine oder nicht so sehr viele harte Massnahmen verkünden zu müssen – und so an der Macht bleiben zu können.

Für diese Botschaft hat Angela Merkel den richtigen Säckelmeister: Schäuble schwäbelt die hoch gehaltene Sparformel schon rein akkustisch so staubtrocken in jedes Mikrofon, dass man sich über die Butter auf dem eigenen Brötchen gleich nicht mehr richtig freuen kann.

Und gleich weiter ohne Süffisanz:

EWIG ABWÄGEN ODER GEMEINSAM HANDELN?

Das Ausmass und die Art der Verschuldung sind in den einzelnen europäischen Ländern durchaus unterschiedlich, und doch gleichen sich alle Analysen und Lösungsvorschläge in einem Mechanismus: Jede Lösung, oder sagen wir, Gewichtung und Präferenz für einen einzuschlagenden Weg, hat neben dem Für ein Wider.
Vor- und Nach-Teile werden laufend gegeneinander abgewogen und austariert: Eher mehr Arbeitslose in Kauf nehmen oder noch weniger Renten bezahlen? Transaktionssteuern einführen oder die Attraktvität der eigenen Börsen und Unternehmen durch im Gegenteil längere Zügel steigern? Reichensteuer einführen oder Banken stärker regulieren?

Staatsangestellte und Privatwirtschaft, Jugendarbeitslosigkeit und Rentenkürzung, Unternehmer und Arbeiter, Manager und Sachbearbeiter , Franzosen und Deutsche, Briten und das Festland, Griechenland und die Fleissigen, Italien und die Seriösen. Überall wägen wir ab, und die und in dieser und vieler weiterer Aufzählungen werden dabei unbewusst durch gegen ersetzt.

Und genau das ist das Problem. Alle sind für sich und schauen für sich. Es gibt keinen erkennbaren politischen Willen zu einem gemeinschaftlichen Neuanfang. Wir begreifen uns eben NICHT als europäische Gemeinschaft. Wir profitieren von einigen der Errungenschaften gerne. Aber gibt es dafür wirklich ein Bewusstsein, dass dies auch etwa kostet, dass es dafür auch einen bewussten Beitrag für die Gemeinschaft braucht? Eine Idee braucht Menschen, die ihr Leben einhauchen und sie gestalten. Wenn Europa auseinander bricht, so müssen wir uns fragen, was denn hier zusammen fällt, ausser einer grossen Illusion?

BEISPIEL VON FAMILIENSINN

Der nun folgende Vergleich mag naiv sein, aber ich stelle ihn ganz bewusst her:
Wenn eine Familie in Not gerät und der Familienrat tagt, dann könnte das Resultat einer solchen (ersten) Krisensitzung zum Beispiel so aussehen:
Die Mutter verzichtet auf teure Friseurbesuche und kocht wieder mehr selber. Der Vater auferlegt sich selbst einen unbefristeten Kauf-Stopp weiterer Elvis-Kostüme, braucht daher auch die neue Karaoke-Booster-Soundmaschine nicht – und investiert die gewonnene Zeit in die Unterstützung der Hausaufgaben des Sohnemanns. Der will nun endgültig aufs Gymnasium und dennoch einen Job als Zeitungsausträger antreten. Morgenstund bringt Frischluft ins Hirn. Und die Tochter gründet auf Facebook eine Gruppe “Spar dich unabhängig” (Untertitel: “Begrab den Traum vom Traumprinzen “), macht nun doch die Lehre fertig und heimst mit dem Erfolg auf Facebook eine Anwartschaft auf ein Praktikum bei einer Konsumentenzeitschrift ein.
Ich will ja gar nicht behaupten, dass die Familie in Kürze so weit ist, dass sie das Ende der Krise fürchtet, weil diese sie doch so zusammen schweisst und ihr Wissen in den verschiedensten Bereichen rapide wachsen lässt – aber ich will sagen, dass in dieser Familie keiner Grund hat, nicht nach seinem Beitrag zu fragen, weil er sieht und erfährt, dass alle ihren Teil leisten – durch Verzicht und Einsatz – und die Einsparungen und Zusatzeinnahmen gebündelt dazu dienen, als Familie über die Runden zu kommen.

KEINE FÜHRUNG, KEINE VISIONEN. NUR SACHZWÄNGE

Wo ist das Konzept, der Vertrag, die Willenserklärung, der Ruck im Volk, der besagt: DAS ist der Weg, ich bin schon unterwegs? Wir müssen uns darauf einigen, dass unsere Schulden eine Katastrophe sind. Wir müssen die Konsequenzen tragen und nicht gleich aufschrecken, wenn man uns wenig zutraut. Wir müssen uns aber an die halten können, die mit uns in der Bredouille stecken.

Es ist wohl dies, was sich Merkel und Sarkozy im Idealfall wünschen: Ein wachsendes Bündnisbewusstsein, am besten in Lichtgeschwindigkeit, das einen neuen Vertrag für den Euroraum möglich macht – mit Recht und Gesetz und Institution. Denn im Gegensatz zur beschriebenen Familie braucht der Staatenhaufen Europa einen sehr rigorosen Ehevertrag. Für beschworene Amouren unter Zeitdruck hat der Markt nur noch eine Botschaft parat: Ein noch tieferes Rating.
Versucht man sich ein Bild der verschiedenen Lösungsansätze zu machen, so wird einem heiss im Kopf. Wie um alles in der Welt soll die Vielzahl der offenen Fragen innert nützlicher Zeit gelöst werden? Und wie schnell werden die mehr oder weniger bewusst als Europäer betroffenen Völker bereit zu Aufzählungen sein, in denen das Wort “gegen” durch “und” ersetzt wird?

Antwort? Ich bin leider sehr pessimistisch. Ich kann keine einzige Regierungsperson, keine Führung in keinem Land und kein Volk ausmachen, das mehr Energie aufbringen würde, als für die unvermeidlich erscheinende Haltung nötig scheint: Wir baden es aus.

Der Markt bestraft auch das komplette Fehlen jeder Vision.