Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Meine Parlamentarier sehen mich als Warenlager

∞  13 September 2013, 13:12

Das Schweizer Parlament, genauer der Nationalrat, ist für die so genannte Widerspruchslösung bei Organspenden. Danach soll im Zweifelsfall angenommen werden, dass der je nach Definition mehr oder weniger “Tote” mit Organspenden einverstanden ist.

Begründet wird das mit dem Mangel an Organspendern. Zwar erklärt man sich diesen Mangel mit der Vermutung, dass viel mehr Menschen zur Organspende bereit sind, aber einfach den Aufwand nicht betreiben, auch einen Organspenderausweis und / oder eine entsprechende Patientenverfügung zu erstellen. Faktisch aber bedeutet es, dass der Staat sich das Recht heraus nimmt, im Zweifelsfall meinen Sterbefrieden zu stören und Ärzte zu autorisieren, meinen sterbenden Körper aufzuschneiden und auszuweiden. Und meine Vertreter im Parlament haben kein Problem damit, dass das Risiko in Kauf genommen wird, dass dies gegen meinen Willen geschieht. Denn niemand wird im Ernst behaupten können, dass dieses Risiko ausgeschlossen werden kann: Verfügungen können verlegt, falsch registriert, abgespeichert werden, die Vorschriften der Amtlichkeit können sich jederzeit ändern, ist die Regel erst mal auf den Weg gebracht:

Die tolerierte Versehrtheit meines Körpers wäre dann gesellschaftlich akzeptiert – und gewünscht. Dass ein Mangel an Organen überhaupt Begründung für diesen ethischen Tabubruch sein kann, entlarvt die Zweckmedizin bereits als solche: Sie ist sich noch nicht mal einig, wie tot ein Hirntoter denn nun wirklich sei, ändert laufend ihre Praxis bei der Durchführung von Organentnahmen, experimentiert mit verschiedensten mechanisch-operativen Abläufen und veranstaltet dabei ein richtiges Schlachtfeld auf dem Weg, den Körper zum ausgeweideten Warenlager zu machen.

Es sind meine Volksvertreter, die dazu Hand bieten wollen, und ich nehme schwer an, dass sie sich in dieser Frage noch nie so weit eingelullt von Lobbyisten so extrem weit entfernt von ihren Wählern festgelegt haben.

Aber da ist noch was: Da gibt es noch eine Exekutive, einen Bundesrat – und diese Regierung lehnt die Widerspruchregelung ab. Aus ethischen Gründen. Noch.

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PS: Sollten Sie sich oben an meiner Formulierung des “sterbenden Körpers” stören, so erinnere ich daran, dass die Definition, ab wann ein Körper tot sei und also schon gestorben, sich im Laufe der “Entwicklung” der Medizin in den letzten Jahrzehnten laufend verschoben hat – auf einen früheren Zeitpunkt, etwa genau in der Kadenz, mit der die Organtransplantationsmedizin Fortschritte gemacht und damit die Nachfrage angekurbelt hat. Für mich ist gerade deshalb klar, dass ich zwar in keiner Weise künstlich wider alle Vernunft am Leben gehalten werden will, dass ich aber sterben will, weil es Zeit ist – für diesen meinen Körper, in dem ich wohne und von dem ich Abschied nehme.