Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Mein Liebling ist mager geworden

∞  4 September 2014, 18:07

Ich habe mich heute eingehend mit einem Produkt meines Verkaufsprogramms beschäftigt, das einen ganz zentralen Punkt in meiner Achtsamkeit gegenüber meinem Beruf einnimmt. Denn an ihm lässt sich festmachen, aufzeigen und erleiden, was aus dem Standard gängiger Haushaltsgebrauchs- und Verbrauchsgegenstände in den letzten Jahrzehnten geworden ist.

Als ich das Produkt kennen lernte, fiel es mir sofort auf: Es wurde für die Industrie produziert, doch seine Gebrauchseigenschaften waren so vielseitig und auffällig, dass es mir wie geschaffen schien für den Privathaushalt. Also begann ich es, mit ganz geringfügigen Modifikationen, so dass es auch gut in einer Frauenhand lag und doch noch immer eine angenehme Grösse hatte, im Schweizer Detailhandel anzubieten. Der Erfolg stellte sich fast sofort ein. Das Produkt war zwar dreissig Prozent teurer als das, was man bisher dafür kannte, aber attraktive Farben und eine Optik, die auch im Regal sofort erkennen liess, dass das Ding sein Geld wert war, überzeugten nicht nur den Retail-Einkauf, sondern auch die Konsumenten: Der Artikel ist bis heute Teil der Grundsortimente in den entsprechenden Abteilungen und war lange Zeit für die entsprechenden Aufgaben im Haushalt das absolut führende Produkt.

Dann kamen neue Technologien – und damit dutzende von Produkten, die das gleiche versprachen – aber nicht unbedingt hielten. Dennoch hielt Vielfalt Einzug – wir hielten an dem Produkt fest, aber es geschah folgendes: Nach anfänglichen Runs auf die neuen Produkte setze ein allgemeiner Preisdruck ein, weil sich die neuen Artikel gegenseitig kannibalisierten. Und obwohl mein Liebling noch immer sehr hohe Absätze erzielte, ergriff dieser Preisdruck auch ihn: Uns wurden Konkurrenzprodukte aus Pakistan unter die Nase gehalten, die ähnlich aussahen, nur einen Zehntel kosteten und zwanzigmal schneller abgebraucht waren. Kein Einkäufer wollte diesen Schrott wirklich im Regal sehen, aber mit der Behauptung, das eine geht für das andere, wurde so viel Druck aufgebaut, dass die Preise zu erodieren begannen. Und weil der Handel Kosten und Nutzen nicht mit dem Produzenten offen abzugleichen bereit war, nur immer billigere Preise forderte, begann auch die Erosion der Qualität. Das Produkt kostet heute weniger als vor zwanzig Jahren. Viel weniger. Im Regal sind diese Verbilligungen bei weitem nicht so deutlich zum Tragen gekommen, aber es gibt ein weiteres Grundproblem: Hat man etwas in die Billigecke runtergehandelt, bringen auch Dreifachaufschläge nicht mehr wirklich so viel Geld in die Kasse. Und diese Aufschläge wären auch nicht mehr korrekt. Denn das Produkt ist zwar nicht Schrott, aber höchst gewöhnlich geworden. Es hat abgemagert. Stillschweigend und schleichend. In einem Umfeld, in dem wir doch tatsächlich mit den Absatzkanälen mehr darüber reden, ob die Auswahl des Einkäufer nicht die Gefahr in sich berge, zu hochwertig zu sein – und damit das Massengeschäft zu gefährden.

Und jetzt kommt’s: Wir hören immer wieder den Spruch: “Der Konsument ist nicht bereit, die notwendigen Preise zu bezahlen.” – Also wird was Billigeres genommen. Oder das Gute billiger gemacht. Und niemand vermag zu sagen, ob die Aussage nicht vielleicht doch eine Mär ist: Wollen wir wirklich nur das Preisschild kaufen?

Was war zuerst da in der Erosion der Produzentenpreise: Die Vorgabe des Handels, mehr verdienen zu wollen, oder der Druck des Konsumenten, der nicht mehr bezahlen will?