Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Marketing - der Feind des Verzichts

∞  27 Juli 2009, 20:51

Marketing ist in der westlichen Zivilisation erfunden worden. Logisch. Die Gemüsehändlerin auf dem vietnamesischen Markt muss ihren Kunden nicht erklären, warum sie jetzt Gemüse kaufen sollten. Oder noch mehr Gemüse. Es geht nur darum, im Wettbewerb mit anderen Anbietern das unbestritten nachgefragte Gut zu verkaufen.

Marketing aber, so wie es westliche Marketeers verstehen, zielt auf Sie ab mit der Frage, wie man Sie dazu bringen kann, das Gefühl zu haben, dass Sie nicht nur einen bestimmten Gebrauchsgegenstand, den Sie gerne als Verbrauchsgegenstand empfinden dürfen, unbedingt haben müssen, sondern einen zweiten davon oder einen sehr ähnlichen dritten.

Marketing ist also die Kunst, Ihnen das Gefühl zu nehmen, im Überfluss des Angebots zu schwimmen, mehr zu nehmen und zu kaufen und NICHT zu meinen, sie hätten schon alles, was Sie brauchen. Glauben Sie, ein satter Konsument zu sein, so will Ihnen das Marketing das Gegenteil beweisen. Sie wissen gar noch nicht, was Ihnen alles fehlt!

Dass das Marketing durchaus Erfolg hat und Sie im Grunde nur auf die Argumentationshilfen gewartet haben, die Ihnen das Marketing liefert, bekommen Sie dann demonstriert, wenn es darum geht, Ihre allfälligen Gewissensfragen vermeintlich ernst zu nehmen – und sie flugs in neue Verkaufsargumente umzuwandeln. Marketing passt wie der Deckel auf den Topf zu unserer verkümmerten Fähigkeit, bewusste Kaufentscheide für die Umwelt zu treffen. Denn, sind wir doch ehrlich, ein bewusster Kaufentscheid zugunsten der natürlichen Ressourcen ist – mangels anderen Angebots – in aller Regel ein NICHT-Kauf. Der uns nicht schmerzen würde. Aber Verzicht (der ja, Hand aufs Herz sehr viel weiter unten erst beginnen würde) ist einfach nicht sexy. Wir wollen zwar etwas für unser Gewissen tun, den guten Willen beweisen, aber nicht verzichten. Auf gar nichts. Und darum kaufen wir dann den Allrad-Offroader mit Hybrid-Motor für die Stadt. Vorher hatten wir ja einen Diesel, oder gar, ganz verschämt sei es gestanden, einen Benziner. Ist doch geil, dass 300 PS nur noch knapp 7 Liter Most verbrennen müssen – geht doch! Auf den Fahrspass will man eben nicht verzichten – und die Werbung spricht von der passiven Sicherheit für die ganze Familie. Das plappert mir der Kollege dann auch brühwarm ins Ohr, worauf ich ihn frage, wo denn die Anti-Verkratz-Sicherheit beim Türöffnen in der Tiefgarage bleibe und die aktive Unsicherheit im Verursacherprinzip, nachdem ein leiser Stoss eines Stossfänger-Urgetüms an irgendwelche Weichteile auf dem Fussgängerstreifen sehr viel schneller sehr viel verheerender sein dürften, als der gleiche Unfall mit einem Kleinauto. Aber klar, die eigenen Bälger im Auto können darüber dann in aller Sicherheit hinweg gehen. Und mit dieser Diskussion verblüffe ich deshalb, weil ich die Scheinheiligkeit der ökologischen Aspekte noch gar nicht mal aufführe.

Sie merken schon, ich bin ein wenig geladen. Und darum mache ich noch ein wenig weiter. Dies zu Ihrer Vorwarnung. Sie können ja was anderes lesen. Sich zum Beispiel noch einen Nespresso oder einen anderen Kapselkaffee holen und dann ein wenig fernsehen.

Nestlé ist ein Weltnahrungskonzern. DER Weltnahrungskonzern. Mit nichts wird meines Wissens dabei so viel Geld verdient wie mit Kaffee. Genauer mit Nescafe. Das ist der Dauerläufer, die immerwährende eierlegende Wollmilchsau. Weltweit gesehen. Für die gehobene Konsumgesellschaft ist der Kaffee aus dem Folienbeutel allerdings nicht gerade sexy, und besonders gut schmeckt er ja auch nicht, zugegeben. Wir sind ja auch längst im Zeitalter der feinen zarten Kaffee-Schäumchen angelangt, homemade, natürlich. Aus Vollautomaten. In der Schweiz werden 100’000 neue solche Maschinen pro Jahr verkauft. Auch wir haben eine. Aber, irgendwie, muss man doch sagen, ist das schon mühsam. Einmal pro Woche die Maschine putzen, immer diesen Kaffeesatzbehälter leeren, die Pulverrückstände um das Gerät. Und ja! Es gibt noch besseres. Es geht noch feiner, noch aromatischer. Im Verhältnis ist das zwar für den Konsumenten um ein Vielfaches teurer, ABER, eben, besser. Mittlerweile gibt es Konkurrenz für Nespresso. Kapselsysteme, die ohne Aluminium auskommen. Und alle Systeme werden mit einem unglaublichen Werbeaufwand angepriesen. Die Maschinen werden den Konsumenten fast nachgeworfen. Genau so wie Drucker für Ihren Computer. Was man will, ist, dass sie möglichst wenig Überwindung brauchen, um das fait accompli zu schaffen, sich selbst zu schaffen: Haben Sie das Ding, müssen Sie die zugehörigen Kapseln kaufen. Zwingend. Ärgern lassen müssen Sie sich dadurch ja nicht unbedingt. Geld kann man ja auch blind ausgeben. Und das ist ihre Sache. Schwieriger wird es, wenn die Umwelt den Mahnfinger hebt. Aber Ihnen wird geholfen!

In der Coop-Zeitung war vor einigen Wochen ein “redaktioneller” Artikel über die Nespresso-Kapseln zu lesen. Darin werden hervorragende Ergebnisse präsentiert, und zwar augenscheinlich gegen entsprechende Kritik in Konsumentenschutz-Medien und von Umweltorganisationen.
60% der Kapseln werden zurück gegeben. Und können dann mit 90% weniger Energieaufwand (im Vergleich zu neuen Kapseln) wieder verwertet werden. Das ist vielleicht ein Spareffekt sage ich Ihnen. Allerdings wird nicht gesagt, welcher Bruchteil an Energie Kapseln ohne Aluminium benötigen würden. Der Rest ist praktisch eh vernachlässigbar. Das suggeriert man ganz unverfroren. Denn wörtlich heisst es da:


“… dabei ist der Anteil der Nespresso-Kapseln am Gesamtverbrauch von Aluminium in der Schweiz verschwindend klein. Pro Person werden jedes Jahr 25 Kilogramm Aluminium verbraucht. Das entspricht 25000 Nespresso-Kapseln oder 68 Kaffees pro Tag.”


Also, Sie können Ihren Beitrag zur Umweltbelastung getrost vernachlässigen. Wahrscheinlich ist genau das der Grund, dass NUR 60% der Kapseln zurück geführt werden. (Bei den Alu-Dosen sind es immerhin zwischen 80 und 90%). Letzteres war im Artikel nicht zu lesen. Selbst können Sie so immerhin die Rechnung machen, dass, wenn Sie pro Tag 2.72 Nespressi trinken, immerhin 1kg Aluminium pro Jahr zusammen kommt. Ist das nun wenig oder nicht?

Zwischen 2.5 bis 3 Mio Exemplare der Coop-Zeitung werden wöchentlich an Schweizer Haushalte verteilt. Vom Migros-Magazin sind es nur unwesentlich weniger. Das Thema Nachhaltigkeit und Biologie wird nach allen Regeln der Kunst ausgeweidet und breit geschlagen. Sie können hinsehen wo Sie wollen. Das Marketing ist immer der Freund Ihrer Kauflust.

Und Sie und ich, wir alle, müssen entscheiden, was für uns Nachhaltigkeit bedeutet: Eine funktionierende Wirtschaft, die in dieser Form nur bestehen bleiben oder gar weiter wachsen kann, wenn wir uns zusätzliche künstliche Bedürfnisse einreden lassen, wobei wir allenfalls gestatten, ökologische Argumente mit Innovationskraft zu koppeln, um neue Geschäftsfelder zu erschliessen – oder aber wir anerkennen eine Nachhaltigkeit, die zwangsläufig Rückführung bedeuten würde. Des Verbrauchs. Der Bedürfnisse. Des Reichtums und Komforts.

Was das wirklich realistische Szenario ist, können wir alle selbst ergründen, wenn wir nur schon danach fragen, zu was wir selbst denn bereit sind? Ohne ein richtiges Schockerlebnis ist das ziemlich sicher zu wenig. Und niemand vermag zu sagen, wie gross der Schock tatsächlich mal sein wird. Und wann er eintritt. Ich befürchte, die Natur lässt sich Zeit. Eine Zeit, die wir nicht haben. Mutter Erde aber schon. Sie wird uns eines Tages lehren, dass sie ohne uns auskommt. Dass sie sich aus sich selber in einer Weise regeneriert, die wir mit einem bewussten Wertewandel nicht vollziehen können. Wir haben uns zu sehr von ihr entfernt. Einst waren wir ein Teil der Natur. Heute sind wir ihr eine Belastung.

Wenn man verschiedenste Mikrokosmen auf der Welt betrachtet, kommt das immer wieder vor. Die Elefantenpopulationen in Botswana haben in den letzten dreissig Jahren zwischen Ausrottung der Tiere und Waldrodung und -zertörung durch die Dickhäuter in bunter Folge gewechselt, immer wieder vom Menschen hilflos “justiert”. Auch wir werden die Welt weiter verändern. Und verändert werden.
So gesehen könnte man zum Schluss kommen: Machen wir weiter wie bisher. Erfüllen wir das Gesetz, dem wir eh zu folgen scheinen. Und doch: Dann treten wir wieder mal raus in die Natur, spüren Erde unter den Füssen, liegen auf einer Blumenwiese. Und wenn es uns dann sticht, dann sollten wir uns eben doch pieksen lassen. Auch engstirnig wie wir sind, können wir begreifen, dass es dabei auch um echte Lebensqualität geht im Hier und Jetzt. Jenseits allen Marketings.