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Macht und Ordnung?

∞  4 Juni 2013, 20:15

Das Verhältnis, das die Bürger unserer Staaten zur Staatsgewalt haben, ist sehr unterschiedlich. Im Namen der Sicherheit seiner Bürger reklamiert dieser Staat die Einschränkung der Freiheitsrechte, und Viele von uns finden das mehr oder weniger in Ordnung oder auf jeden Fall nicht Grund genug, beunruhigt zu sein oder gross ins Nachdenken zu kommen.

Wie weit diese Staatsgewalt für uns eine reine Ordnungsmacht ist, dem Frieden sogar zuträglich oder zumindest für die eigene Sicherheit notwendig – darüber gehen die Meinungen und Bedürfnisse, die Erwartungen und der Grad des Misstrauens beim Einzelnen weit auseinander. Dass sich nicht nur die Formen des Protestes von Aufwieglern, Abweichlern oder schlicht Alarmierten, je nach Sichtweise, verfeinert und perfektioniert haben, ist das eine – dass der Polizist an einer Demonstration heute mehr ein Soldat in einer Rüstung ist denn ein Ordnungshüter mit dem Charme eines Bobby, das andere. Es gibt heute mehr Menschen, die nichts dabei finden, mit Steinen und Molotowcocktails Polizisten zu attackieren, und entsprechend verschärft hat sich die Mechanik und Systematik sowie das Equipement, mit dem die Polizei im Truppenverband dieser Gewalt entgegen tritt.

Ich kann heute verstehen, dass sich ein Fremder, als solcher behandelt, von welcher Form eines Auftritts dieser Macht in Uniform schnell mal bedroht fühlt, und ich kann beobachten, zum Beispiel an der Polizei im Hauptbahnhof, dass diese sich im Zweifelsfall sehr schnell bereit fühlt, zum eigenen Schutz lieber einmal zu viel als zu wenig die Macht der Drohung und Einschüchterung einzusetzen.


Bildnachweise a.E. des Artikels

Es lässt sich nicht mehr ganz so leicht annehmen, diese Mechanismen würden einem selbst nie drohen, seit Handschellen mancherorts in jedem Polizeitransporter Pflicht geworden sind – egal wie klein die Bagatelle sein mag, die einen da hin gebracht hat.

Und wenn die Fremden uns eben auch wirklich fremd sind und die Eigenen uns einladen, die Furcht vor diesen Fremden als ganz bestimmt begründet anzusehen, so müssten wir uns schon Einzellern angleichen, wollten wir behautpen, dass jeder, der von “unserer” Ordnungsmacht hart angefasst wird, schon seine Gründe dafür geliefert haben wird…

Es wird ganz bestimmt, zumindest in Stresssituationen, über einen Kamm geschert. Und was heisst denn schon “hart angefasst”? Die Entpersonifizerung des “Schutzpersonals”, verfremdet zu knüppelbewehrten, helmtragenden Schutzschildträgern, ist stetig fortgeschritten. Heute pagtroullieren an Demonstrationen die Stadtinfanteristen der Polizeimacht in Rüstungen durch die Strassen, und das Prinzip, durch die blitzschnelle Schaffung einer vielfachen Übermacht Gewalteskalation zu verhindern, scheint oft erfolgreich. Doch was löst die Erfahrung in den Zielpersonen aus, zumal, wenn sie objektiv relativ unbeteiligt an den Hauptvorgängen gewesen sind – und erst recht, wenn sie aus ihrer entwurzelten Geschichte so manche noch ganz andere Erfahrung dieser Macht erinnern können?

Es bilden sich nicht nur äussere Fronten, sondern auch und gerade innere, und dieses Bild lässt dies sehr, sehr deutlich erkennen. Es ist im Bild keine Waffe zu sehen, keine übermässige Brutalität, und doch wird enorm Macht ausgeübt. Die Polizisten stehen auch und gerade für unsere Bereitschaft, angesichts der Gefahr der Überfremdung und der Bedrohung, die wir deshalb in Fremden sehen, die Entpersonalisierung der Menschen, die wir doch eigentlich vor uns hätten, zuzulassen. Dass wir dabei, oder die von uns eingesetzten Vertreter, erst recht selbst unsere Persönlichkeit verlieren und roboterhaft unseren Schutz garantieren wollen, ist der Grund für den bitteren Geschmack auf unseren Zungen, wenn wir über dieses Problem nachdenken und diskutieren. Und kein noch so lautes Geschrei vermag diesen Geschmack zu tilgen.


Bild: Credit: libertinus on Flickr, Titel: Blockupy 2013, Snapshot #1. Bildbearbeitung: Thinkabout. Das Bild ist in Original und Bearbeitung unter der Creative Commons Lizenz CC BY-SA 2.0 lizenziert.