Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Lissabon, Tag 2

∞  14 Juni 2009, 07:45

Lissabon, 13. Juni 2009

Nachdem wir gestern Freitag in die Stadt irgendwie hinein gefallen sind und alles angetroffen haben, als hätte es auf uns gewartet, uns überall sogleich zurecht fanden und alles, was Thinkabout´s Wife zuvor im Internet recherchierte, auch so antrafen, war heute ein anderer Tag. Es war schön, keine Frage. Aber anstrengend. Nicht nur, weil wir den ganzen Tag unterwegs waren, sondern vor allem, weil heute sich die Dinge selten richtig in einander fügen wollten:

Die Iglesia S. Roque ist geschlossen, der Platz davor eine einzige Baustelle. Das Electrico E28 lässt auf sich warten, während in der Gegenrichtung mindestens drei davon vorbei rauschen. Dann fährt es, aber nicht so weit, wie wir eigentlich wollen, und wir müssen auf das nächste warten. Und die geplante Rundfahrt mit der Linie 28 fällt ganz ins Wasser, weil der öV durchs Zentrum wegen festlichen Umzügen ganz eingestellt wird. Die Umzüge dürften irgendwann spät abends stattfinden (vor neun Uhr abends ist nicht damit zu rechnen, aber große Dinge wollen gründlich vorbereitet werden, auch wenn sie dann sehr wohl noch immer sehr spontan wirken und auch sind, weil die Vorbereitung innerhalb der Absperrungen irgendwie kryptisch schwierig von statten geht – wie unsere Bewegungsübungen durch den Tag).
Den botanischen Garten finden wir nur mit Mühe, und als es so weit ist, stehen wir vor verschlossenen Gittertüren. Das nette Restaurant im Park stellt eine Karte aus, die sogar einen vegetarischen Menu-Vorschlag enthält, und als wir glücklich an einem kleinen Tischchen für Zwei am Teich mit den schwarzen Schwänen sitzen, bringt uns der Kellner eine ganz andere Karte. Irgendwann, viel früher am Tag, hat sich meine Liebste bereits einen Fingernagel abgebrochen, und die Zehennägel schmerzen auch und verschaffen ihr blutige Socken.

Und doch war es schön! Das brav die absurde Steigung meisternde Bähnchen, hinauf zum Miradouro S. Pedro Alcantara, wo man einen herrlichen Blick über die Altstadt bis zum Tejo hat und hinüber zum Castelo S. Jorge und dem Convento da Graca, der „Elevador de Santa Justa hinab vom Convento do Carmo; die Basilika Santa Estrela, der davor liegende Park, der eigenartige Friedhof Prazeres mit den zum Teil sehr großen und durchaus sehr unterschiedlich gestalteten Familiengruften, die wie Totenhäuser ganze Straßenzüge unter Alleen bilden. Meine Liebste hat die Ruhe und Stille in diesem riesigen Areal sehr schön empfunden, während ich den Lärm der Autos auf den Straßen vor den Mauern und der Flugzeuge über unseren Köpfen sehr wohl hörte und nicht vergaß: Es war mir, als würde hier an jeder Ecke ein Aufstand geprobt, der nicht erfolgreich sein kann: Wider das Vergessen lässt sich nicht ankämpfen. Nicht mit Steinen und Mauern und Figuren. Und Blumen, die nicht künstlich sind, verraten die gescheiterten Versuche: Dürr und traurig hängen sie aus den längst ausgetrockneten Wasserbehältern, eingeklemmt in die rostigen Gitter, die das Gebein weg sperren und doch selbst den gleichen Weg gehen.

Durch eine eingebrochene Seitenwand kann ich einen Kindersarg ausmachen, von Staub und Mörtel berieselt…

Längst auch sein Bewohner auf anderer Reise, und darüber bin ich froh, während ich mir das Leid vorstelle, das sich hier einmal versammelt hatte… Und nun begegne ich auf dem Weg zum Ausgang jenen Gräbern mit besonderer Dankbarkeit, die von frischen Blumen geschmückt werden, oder von künstlichen, hin gebracht und dargelegt von Besuchern, die mit dem Sinn und dem Wissen um einzuhaltbare und sinnlose Versprechen her gekommen und wieder gegangen sind.

Nein, es war ein guter Tag, mit Mühsal und Kurzweil, mit Besinnlichkeit und Leichtmut. Er hat uns müde Knochen beschert und einen gefüllten Geist, der ein erfüllter werden wird, wenn wir sortiert haben, was an Überfluss an Reizen an einem solchen Tag über einem Stadtwanderer ausgeschüttet wird.