Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Lieber dumpf und stumpf?

∞  28 Februar 2007, 20:04

Immer wieder beobachte ich folgende Szene:

Begegnung von drei oder mehr Menschen auf der Strasse, im Café, zu Beginn einer Sitzung, auf einem Messestand.
Der eine, der “be-grüsst”, reicht die Hand, spricht die erste Person an und redet weiter mit ihr, während die Hand zur Seite schwingt und die andere, nächste schüttelt – ohne dass die Person angesehen würde.

Es gibt wohl keine despektierlichere Geste als diese: Es wird zwar die Hand zum Gruss gereicht, doch der ganze Körper und Geist ist wo anders. Es ist dies eine tiefe Respektlosigkeit, und sie ist schlimmer, als wenn die begrüsste Person von Anfang an ignoriert würde.

Ich glaube, solche Dinge mehr beobachten zu können als auch schon. Nur weiss ich nicht, ob dies meiner geschärften Wahrnehmung zuzuschreiben ist, oder einer grösseren Empfindlichkeit, oder ob die Unachtsamkeit im Umgang zwischen uns wirklich zugenommen hat?

Die geschilderte Szene ist eine Art Sinnbild: Statt der Situation und den Anwesenden zuzutrauen, dass sie einen interessieren, ja überraschen können, winken wir die Begegnungen geradezu weiter, wischen sie vom Tisch, bevor sie stattfinden können. Wir sind überfordert, nur schon einen Blickkontakt einzugehen. Ist es, weil die Gedanken schon weiter hasten, oder weil wir automatisch Menschen, die uns in der Gruppe begegnen, kategorisieren, unwillkürlich aber sofort einordnen und entscheiden, wer wie wichtig für uns ist, sein kann?

Und was ist mit dem Verkäufer, der über die Ladentheke hinweg die Ware schiebt und das Geld in Empfang nimmt, während er nur Augen für den Kollegen links hat, mit dem er schwatzt – oder, noch “besser”, in seiner Aufmerksamkeit ganz vom Fernseher in der Ecke gebannt wird?

Wie viele Menschen gibt es, die in solcher Art und Weise sich vom Leben auf Dauer enttäuschen lassen, bis sie die Bagatelle in jedem Fall der Überraschung vorziehen? Die gewohnt taub machende, dumpfe Einsamkeit will man nicht mehr verscheuchen. Es ist eher Furcht zu spüren vor der möglichen neuen, lebendigen Begegnung.

Dass so jemand dann auch noch im Verkauf arbeiten “kann”, macht es auf eine traurige Weise absurd.

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