Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


10 Min. - 1 Stichwort: Leere

∞  16 April 2007, 17:03

Das leere Glas. Ich kenne das Bild vom halb vollen Glas, das dann eben halb voll und nicht halb leer gesehen werden kann. Aber das leere Glas? Vorbei der Genuss, fern die Flüssigkeit, das Wasser, der Wein. Leere nur. Mangel.

Die Leere, die wir fürchten, ist etwas ähnliches in unserem Zeitempfinden: Der Moment, wo die nächste Sekunde, der nächste Augenblick undenkbar wird, die Zeit abbricht, die Sekunden wirklich verrinnen, im Boden versickern und das scheinbar Sinnvolle sich als leerer Tanz von Absonderlichkeiten manifestieren kann.

Wenn uns nicht länger trägt, was wir als normalen Lauf des Lebens angesehen haben, wenn wir Sinnlosigkeit ausmachen, dann spüren wir diese Leere, die für uns eine Katastrophe ist.

Es liegt nicht in der Natur unserer westzivilsatorischen Kultur, dass wir in dieser Art Vakuum eine Befreiung sehen. Wir schreien nach dem nächsten Ziel, das uns wieder funktionieren lässt, nach den Menschen, für die es sich lohnt, zu sorgen. Nach dem Fokus, der uns vorwärts schauen lässt, und damit aus uns heraus.

Dabei wäre dieser erstarrte Moment, dieses scheinbare Vakuum die Gelegenheit, eine Blase aufzustechen und aus dem Vakuum frei fliessende Luft zu machen. Leere könnte bedeuten, den Gedanken, die plötzlich nicht mehr denken können, Zeit zu lassen, sie in diesem Zustand, diesem Innehalten neu werden zu lassen.

Vielleicht können wir Menschen uns neu erfinden, nein finden, wenn wir die Leere, die am Ende eines Lebens droht, zuvor erleben, zulassen, abrufen, an uns heran lassen. Ausgebrannt sein, leer sein – der scheinbar protestierende Körper, streikend, meldet sich, schreit, hat Ansprüche, will nicht untergehen, sondern schwimmen im Meer der eigenen Seele, die nicht vorwärts rennen sondern in sich gehen möchte.

Wie wäre es schön, einmal, für nur einen ersten Moment, nicht denken zu müssen. Dem Verstand nicht alles überlassen zu müssen, sondern ein Empfinden zu begrüssen, das tief darunter ruht und vielleicht gerade diese Leere braucht, um gehört werden zu können!?

Sie ist eine Chance, diese brutale, drohende, schwarze oder kalte Botschaft, die, wenn wir uns auf sie einlassen, plötzlich nur noch bestimmend, mahnend, abgedunkelt (die inneren Augen schärfend) und kühlend empfunden werden muss.

Wie ist es mit der Leere, die ausgehalten werden kann? Sie verändert sich. Und diese Wandlung begründet eine tiefe innere Stärkung, die über die Angst der sich wandelnden Zeit hinaus trägt.

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Fundstück: Zaubern zum Thema:




in ein (vermeintlich leeres) Glas mit einer Spatelspitze NaHSO3 wird violette KMnO4-Lösung gefüllt… chemienet.info
Merke: Der Stand unserer momentanen Wahrnehmungsfähigkeit ist nicht das Ende unseres möglichen Wissens…


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Dieser Beitrag gehört zur Reihe: 10 Min. – 1 Stichwort, in dem die Beiträge immer gleich entstehen: Ich schreibe genau 10 Minuten lang über ein unmittelbar zuvor bewusst gewordenes Stichwort. Im Ergebnis entstehen eine Art Kolumnen:
Alle Stichwort-Beiträge erscheinen in einem separaten Blog, der sich “Schreiblust auf Stichwort” nennt und unter schreibmut.twoday.net zu erreichen ist. Wer gerne ein Wort reflektiert haben möchte, kann mir sein Stichwort per mail mitteilen. Persönliches Ziel ist es, die Übung mindestens einmal täglich durchzuführen. Beiträge, auf die ich ein internes oder externes positves Echo bekomme, erscheinen dann evtl. auch hier, allenfalls mit Illustration und redaktionell im Sinne der Lesbarkeit und des Verständnisses punktuell ausgebessert (Satzzeichen, klärende Satzaussage, ohne dass der Inhalt verändert oder ergänzt wird).