Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Lebensmitte: Auch leisere Freuden können sehr lebendig sein

∞  21 Februar 2010, 19:21

Die Lebensmitte, liebe Leser, hat ihre Tücken. Das beginnt schon damit, dass man nicht so genau weiss, wann sie denn nun erreicht ist? Rein rechnerisch lässt sie sich ja wohl bestimmen, wollen wir den Statistiken glauben. Wollen wir natürlich nicht. Irgendwie sind wir aber auch lange genug auf der Welt, um in dieser rechnerischen Lebensmitte zu wissen, dass das Leben keine Garantien kennt. Wie lange unsere zweite Hälfte also wirklich dauern wird, lässt sich nicht sagen. Was wir aber spüren, ist, dass die Jugend vorbei ist. Wir sind definitiv nicht mehr jung. Punkt. Dazu brauchen wir nicht mal eigene Kinder, denen wir peinlich werden. Wir wissen es auch so.

Manchmal steigt da wohl Wehmut auf. Persönlich entdecke ich an mir eine ganz besondere Art der Unnachgiebigkeit, Unversöhnlichkeit, Unmut und Kritik gegenüber allen möglichen Formen der Beliebigkeit – immer schön nach meiner eigenen Definition, vielleicht ein bisschen aufgeschreckt durch diese Erkenntnis, mehr hinter mir als vor mir zu haben.
Es kommt seltener oder überhaupt nicht mehr vor, dass ich mich einfach so, kindlich unverblümt, ohne weiteres Nachdenken und ohne Kalkül oder Sorge um meine Aussenwirkung, für eine Idee begeistern lasse. Ich bin kaum mehr für etwas Feuer und Flamme.

Vom Satz: “Ich kenne das Leben” bis zum Gefühl, dass dieses Leben damit keine Wunder mehr bereit hält, ist es ein kleiner Schritt, der manchen nahe an eine Depression heran führen kann.



Dabei haben wir ja noch Saft in den Knochen, und wir wissen genau, dass es noch Zeit wäre, Dinge zu ändern. Vielleicht schauen wir unsere Kinder an und kommen ins Grübeln, angesichts der Weite, welche vor ihnen liegt – und der Enge, die uns selbst umschliesst.
Unvermittelt erstellen wir Bilanzen. Aber wir gehen es falsch an: Wir konstatieren zuerst ein Loch in der eigenen Kasse – und richten danach die Bewertung der Aktiven und Passiven, den Aufwand und den Ertrag daran aus. Und plötzlich können alle Menschen, welche Teil unseres Lebens sind, gar nicht mehr bestehen in dieser Rechnung.

Wir möchten kompensieren, Dinge nochmals aufrollen, etwas erleben, begeistert werden, begeistern können und eine Aufgabe haben, hinter der alles andere abfallen kann: Das eine grosse Ziel, das alle Energien freisetzt.

Aber ich werde meine Erfahrungen nicht los. Ich kann mich nicht vergessen – und soll das doch auch nicht. Ich will und muss vielmehr mit mir umgehen. Und mit meinen Jahren.
Ich versuche mich, wenn ich mich selbst so betrachte in meinem Alltag, an dem zu orientieren, was uns gerade buddhistische Lehrer zum Thema der bedingungslosen Leidenschaft immer wieder sagen wollen: Jede Emotion ist immer auch ein Stück Anhaftung. Ja, wir wünschen sie uns, denn sie ist eine Form von Leben, von Lebendigkeit, die wir uns kindlich zurück wünschen, aus der Erinnerung in die konkrete Erfahrung: Vorbehaltlos Feuer und Flamme für etwas sein können. Stattdessen haben wir unsere Erfahrungen… Das ist alles menschlich und gehört irgendwie zum Biorhythmus jedes einzelnen Lebens, denke ich. Mein Leben fragt mich aber jetzt genau so wie früher und in Zukunft nach meiner eigenen Haltung: Bin ich Mr. Miesepeter, der in allem Sachzwänge sieht und keine Neugier mehr kennt?

Oder kann ich Gedachtes und Gefühltes und meine Emotionen heute in eine Form kleiden, welche mich mit Körper, Geist und Seele ganz andere, tiefere seelische Verbundenheit erleben lässt, als dies früher je für mich fühlbar gewesen wäre?



Was mache ich denn mit meiner neuen Ruhe? Empfinde ich sie tatsächlich als öde, sehe ich mich nur müde, mache ich mich damit unruhig, oder benutze ich das angelernte neue leisere Tempo, um mir jene Dinge näher anzusehen, welche früher unbeachtet und verschenkt an mir vorbeiziehen konnten?

Wenn ich mich nicht so sehr unter saumässig Begeisterten in einer aufgesetzten Jugendlichkeit behaupten muss, darf ich stattdessen nach Schönheiten streben, die nicht scheinen, sondern wirklich leuchten.
Es ist ein wenig wie Lieben statt verliebt Sein, wie staunend Beobachten statt begeistert Starren; und vielleicht ist mein Umgang mit Naivität ein Indiz dafür, ob ich zum Zyniker werde oder wirklich Weisheit gewinne (und damit mein heutiger Beitrag für die Jugend ein positives Erbe meines eigenen erwachsen Werdens):

Die Naivität liegt jugendlichem Enthusiasmus oft zugrunde und wird ihm dann auch vorgehalten. Deswegen mag darin dennoch sehr wohl eine Wahrheit stecken, welche wir Älteren mit dem Hinweis auf Sachzwänge abwürgen – im Wissen um die eigenen verpassten Chancen. Wir können aber auch anders: Wir können der Jugend, Anderen, Zugeneigten, Geliebten, Geschätzten ihre Naivität lassen, sie nicht zerschlagen mit einer Spur von Neid oder gar der Angst, es läge darin ein Potential, das wir selbst nicht genützt haben. Wir könnten sie begleiten, wohlmeinend, und gespannt, was daraus wird, vorausblickend, und vor allem bereit, Enttäuschungen aufzufangen. Und bei alledem könnten wir jenseits der wilden Emotionen alle diese Haltungen leben, ohne durch zu viele und zu extreme Gefühlswallungen eine Kraft zu verpuffen, die andere durchleiden – und später auch verlieren werden.

Unser Leben ist nun mal darauf angelegt, dass wir es erfüllen. Und dazu gehört, dass wir eine Art Frieden mit der eigenen Ruhe machen.



Wir alle werden hoffentlich vom/von der Geliebten mehr zum Gesprächspartner, zum Begleiter. Die Enthusiasten stürmen derweil vor – aber auch ihr Weg kennt einen Gipfel, ein Ende, Müdigkeit, Erfüllung vielleicht, aber auch dann die Frage nach dem Danach.
Und dabei gibt es nur ein Ziel: Sich selbst werden. Und wenn wir dabei einmal müde werden, sind wir eben müde.
Das verlockendste Gut in unserem Leben, das wir immer anstreben können, und das uns lebendig hält, wie nichts anderes, ist Authentizität. Wir sind dann ganz uns selbst.
Dann ist uns nicht mal die Zeit, die vergeht, ein Feind. Sondern ein Begleiter.