Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Landebahn der Stille

∞  28 April 2010, 19:01

Der Park zwängt sich schmal zwischen die Häuser. Eigentlich besteht er nur aus einer breiten, autofreien Strasse mit ausladendem Grünstreifen auf beiden Seiten. Passiert man das schmiedeiserne Eingangstor, so rollt sich diese Strasse wie ein Teppich aus. Der Blick geht in die Weite, die Häuser links rücken zu einer einzigen Fassade entfremdet zusammen, von hunderten von Fenstern gebildet, welche sich der Abendsonne entgegen strecken und blitzen. Sie können nicht anders, als das empfangene Licht wieder abzugeben und schlicht Kulisse zu sein für diese Landebahn der Stille: Schon nach ein paar Schritten Spaziergang wird es sehr ruhig um mich. Alles bekommt Klarheit. Wohin man gehen kann, ist klar, ist vorgegeben. Und wie schnell ich vorwärts komme, scheint unerheblich. Es gibt sogar Menschen, die bewusst langsam zu gehen scheinen, aus Angst, das Ende des Teppichs zu schnell zu erreichen…

Bald schon sitze ich auf einer Bank, die blitzenden Fenster weit hinter mir, die Füsse flach auf dem Boden, den Geruch von frisch gemähtem Gras in der Nase. Doch dieses Gras riecht nicht so scharf wie die frische Mähse im eigenen Garten aus meiner Kindheit, wo das Gras immer zu schnell wuchs. Hier liegt auch ein Duft von Blüten im Sauerstoff, den ich atme, und das wüchsige, flammend grüne Gras trägt auf jeder Halmspitze ein tanzendes Krönchen aus lichtgoldenem Glitter.

Der sanfte Wind schiebt den Radfahrer an mir vorbei, der die Bürotasche auf dem Lenker balanciert, während das Jacket sich in seinem Rücken aufbauscht, als wäre er der Pilot eines schwerelos gleitenden fliegenden Teppichs. In seinem Gesicht lacht ein Kind. Feierabend.

Links neben mir sitzt ein Mann in meinem Alter. Grau meliertes Haar, weisses Hemd, schwarze Jeans, Markensneakers an den Füssen. Der rechte Knöchel ruht auf dem linken Knie, das Buch lässig im Schoss. Er bemerkt mich nicht. Es ist, als hätte er vor dem Spiegel das letzte Mal die Frage beantwortet bekommen, ob der Abend ihm alle Chancen bieten würde. Jetzt nützt er sie und wird braun. Das Buch scheint unterhaltend zu sein. Er würdigt mich keines Blickes.

Rechts, auf der Bank gleich neben uns sitzt ein jüngerer Mann. Er hat seinen dünnen kurzen Mantel um sich geschlungen als befürchte er, im Frühlingswind zu erfrieren. Er hat weisse Stöpsel im Ohr. Ich überlege, ob er es hören würde, wenn ich grunzte. Ich lasse es sein. Denn ich liebe Menschen, die Bücher lesen und unterstütze das sehr. Glotzen geht also, rumpöbeln nicht. Ach Männeken zu meiner Rechten, die Musik, die Du hörst, kann doch gar nicht so schlecht sein. Aber der Mann gehört nicht hierher, weil er gar nicht wirklich hergefunden hat. Bald einmal verabschiedet er sich, obwohl er noch da ist. Er drückt sich die Musik nun in den Kopf, wie mir scheint, ohne dass sie das Herz erreicht. Der Blick geht nach innen, der Hals wird kürzer, das Kinn verschwindet hinter dem aufgestellten Kragen des Mantels. Ich lasse ihn fliehen. Warum wohl ist er nicht da? Hängt er dem Tag nach? Ich glaube eher, er fürchtet den Abend. Die Aussicht scheint nicht besonders ermutigend zu sein. Also blickt er in seinen Mantel hinein.

Seit ein paar Minuten sind am nahen Eingang zum Park drei junge Frauen aufgetaucht. Jede schiebt einen Rollstuhl vor sich her mit einem in dicke Decken gewickelten Kind.
Endlich sind die Schutzbefohlenen richtig platziert, eingewickelt und versorgt, und die Parade dieser drei Paare setzt sich in Bewegung. Die jungen Frauen schwatzen zusammen, helles Lachen erreicht mich. Die Kinder in den Rollstühlen sind schwerstbehindert, aber sie recken ihre Köpfe der Sonne entgegen, wie Jungküken,die um Nahrung betteln, und schliesslich ist ein Schnattern und Kreischen und Lachen aus sechs Kehlen zu vernehmen, und während ich den Rollstühlen nachschaue und sich eine Betreuerin beim Schieben nach vorn beugt und ihr Gesicht an die Wange des Kindes drückt, stösst das kleine Wesen einen glückstrunkenen Schrei aus, der die ganze Strasse entlang zu hören sein muss, als wäre nicht längst allen klar, für was sie gebaut worden ist. Als roter Teppich für ein bisschen Seelenruhe. Wir hätten es alle so sehr verdient.