Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Kunden, die nur noch Konsumenten sind

∞  4 Juni 2012, 20:15

Woran liegt es, dass wir Konsumenten in Massenangeboten beinahe ersaufen und es für die bewusste Entscheidung zu mehr Qualität und Nachhaltigkeit kaum Angebote gibt, es sei denn, sie werden vom Marketing eben dieser Massenangebote gleich selbst wieder ausgeschlachtet?


Auslöser zu diesem Artikel ist der Kommentar von Claudia zur Ölförderung in Ecuador, wo Sie unter anderem schreibt:


[…] FRAGT UNS DENN JEMAND, ob wir WOLLEN, dass für etwas billigeres Benzin ein Land mit all seiner Natur derart verdreckt wird? […]
Es heißt, der Verbraucher stimmt an der Kasse ab. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Was zu welchen Bedingungen überhaupt produziert und verkauft werden darf, dass machen die Konzerne und die Politiker unter sich aus!

istockphoto.com/koun

Da ist was Wahres dran: Sehr oft, wenn von den Verbrauchern und Konsumenten und deren Bedürfnissen gesprochen wird, frage ich mich, wo diese Erkenntnisse wohl herkommen mögen? Denn ich fühle mich diesen vermeintlichen “Trends” sehr oft nicht zugehörig, und nicht selten frage ich mich, was zuerst da ist: Die Erkenntnis der Anbieter über eine bestimmte Nachfrage und damit die Motivation, diese Nachfrage zu erkennen und als Erster und Bester zu bedienen, oder der Versuch, die Nachfrage zu steuern und dem grossen Pulk der Nachfrager da draussen die Zielrichtung vorzugeben, damit das Geld so ausgegeben wird, wie es den Produzenten und Einzelhändlern bestmögliche Gewinne verspricht.

Nur, liebe Claudia, bemühe ich für diese Mechanismen gar nicht erst die Politik, und je länger je mehr wundere ich mich auch weniger über die Produzenten als über den Einzelhandel, der die Bedürfnisse des Kunden immer zuerst dort ortet oder vermutet, wo die Konkurrenz erfolgreich zu sein scheint: Je mehr Discounter auf einem Markt auftauchen, um so kürzer werden die Reaktionszeiten und um so schneller wird der Preis im Regal bzw. im Einkauf zum absolut dominierenden Thema.

Erklären will ich das am Beispiel, dass der Schweizer Markt in den letzten Jahren abgab:

Begonnen hat es damit, dass Aldi Süd die Expansion in die Schweiz in Angriff nahm. Der Schweizer Detailhandel kannte und kennt mit Migros und Coop zwei absolute Schwergewichte, die den Markt als so genannte Vollsortimenter dominieren: Bei diesen Einzelhändlern findest Du, je nach Ladentyp, einfach alles. Migros war der grosse Spezialist der Eigenmarken, Coop erster Vertriebspartner für alle Produzenten von Markenprodukten.

Es gab beim Markteintritt von Aldi zwar erst die grossen Inserate der Platzhirsche, in denen sie die Vielfalt des eigenen Warenangebots anpriesen und zum Beipiel darauf hinwiesen, dass es bei Ihnen nicht einfach einen Sack Nudeln zu kaufen gibt, sondern der Konsument unter Teigwaren mit Eiern aus Bodenhaltung, Vollkornprodukten, breiten und dünnen Nudeln, etc., auswählen könne. Die Lust an der Vielfalt wurde betont und heraus gestrichen.
Gleichzeitig herrschte eine komisch ambivalente Stimmung am Markt, die sprunghaft zwischen abschätzigen Prognosen über den neuen Konkurrenten und der Angst wechselte, er könnte über Gebühr erfolgreich sein.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass die grossen Schweizer Detailhändler ein Stück weit schockiert waren, wie bereitwillig die Presse, allen voran der eigentlich linke Boulevard, dem die Arbeitsplätze doch wichtig sein sollten, jede Gelegenheit wahr nahmen, auf schnell billiger werdende Einkaufspreise für die Konsumenten zu wetten und krasse Beispiele aufzuführen, welche absurde Preisdifferenzen aufwiesen. Alles pries die wunderbare Aussicht auf mehr Konsum zu billigeren Preisen – damit wäre dann allen geholfen, so schien es.

Coop reagierte auf die neue Konkurrenz, indem die Kette bei der Gestaltung einer parallelen Discountlinie mit Migros nachzog und damit begann, das Image des immer etwas teureren Markenartiklers abzustreifen. Die Botschaft “wir können auch billig” wurde dabei mit immer neuen Wareneinkaufskorb-Vergleichen untermauert, bei denen nicht etwa Aldi die Zielscheibe bildete, sondern der alte Erzgegner Migros. Je länger je mehr betrieben die Vollsortimenter mit dem Vollservice Werbekampagnen, in denen sie nurmehr von den eigenen Preisen sprachen – einfach herrlich für jeden Discounter, denn es gibt nichts Schöneres, als wenn die Konkurrenz den eigenen Stärken hinterher hechelt und freiwillig die gleichen Waffen – und nur die – zum Duell zückt, die man selbst seit Urzeiten am besten beherrscht. Der Witz ist:

Wenn es hart auf hart geht, kann niemand in der Schweiz so billig wie Lidl oder Aldi, weil in letzter Konsequenz in diesem Fall die Höhe der Nachfrage den Preis bestimmt – und die Schlankheit der Strukturen. In beiden Kategorien sind ausländische Discounter Schweizer Detailhändlern haushoch überlegen. In den umliegenden Märkten ist denn auch zu beobachten, dass sich die angestammten Wettbewerber neu darauf besinnen, ihre eigenen Stärken hervorzuheben und damit Leistung auch mit einem etwas höheren Preis zu verbinden.

Auf dem Weg dahin aber gibt es als Anbieter eigentlich keine Möglichkeit, diese Prozesse zu beeinflussen, denn man müsste als Partner des Einzelhandels seinen Kunden dessen Kunden, also die Konsumenten und deren Bedürfnisse erklären. Womit wir bei Deinen einleitenden Bemerkungen per Kommentar sind: Das Problem ist eben genau, dass der Detailhandel sich sein Bild von seinem Kunden gemacht hat. Er glaubt nicht mehr an dessen Treue, und es ist unerheblich, ob der Detailhändler seine Kunden auf den reinen Preisvergleich erst aufmerksam gemacht hat oder dieser schnöde angesichts der neuen Angebote den Laden wechselte. Die eigene Werbung fällt auf die Detailhändler zurück, die nun in ihren Kunden selbst nur mehr gestresste Feierabendeinkäufer sehen, welche beim Einkauf keine Entscheidungen mehr treffen wollen und sich durch Auswahl nur gestresst fühlen. War erst noch die Vielfalt wichtig, ist es jetzt das Ziel, “Warendruck” mit einer beschränkten Vielfalt aber hohen Mengen und entsprechend breiter Präsentation einzelner Schnäppchen zu erzeugen – alles Dinge, welche ja gerade Argumente sind, die für den Discounter sprechen: Da suchst Du die Nudeln und bist froh, wenn der Discounter überhaupt welche hat und Du sie schnell findest.

Wenn also die Vollsortimenter Dir die bewusste Entscheidung für Deine Grundbedürfnisse nicht zutrauen, wird sich an der Verflachung des Sortimentes so lange nichts ändern, bis alle Sortimente austauschbar erscheinen. Ob der Kunde das will, lässt sich so lange nicht abstreiten, als nicht ein gewichtiger Player am Markt wieder Gegensteuer gibt und bewusst das Konträre seines Angebots in den Vordergrund stellt.

Alle diese Dinge haben erst einmal mit Marktmechanismen zu tun und mit dem Faktum, dass wir nirgends so sehr Teil einer Masse und nicht Individuum sind, wie beim Konsum. Und die Nische als Konsument zu finden, ist auch nicht immer seeligmachend, denn Feinkostläden und dergleichen, wollen wir mal bei Lebensmitteln bleiben, haben oft zu wenig Absatz und damit ein unter Umständen ein zusätzliches Qualitäts- und Rentabilitätsproblem.

Natürlich ist es das Kalkül der Produzenten, möglichst billig zu produzieren und mit maximalen Margen zu verkaufen, natürlich gibt auch der Handel nirgends freiwillig Marge preis, wenn ihn nicht Konkurrenz dazu zwingt, aber das Prinzip des freien Marktes bringt es mit sich, dass am Schluss immer die Masse und deren Konsum und damit der Preis das Angebot von Alltagsprodukten bestimmt. Es ist gar nicht möglich, auf diesem Markt den Anbietern und Produzenten eine konträre Botschaft zu überbringen, weil dieser Kraft keine entsprechend organisierte Verbrauchermacht gegenüber steht. Der Konsument bleibt der Niemand, der einem Massentrieb folgen soll und dies auch tut.

Provozierend kann man sagen: Voilà. Wozu wird das Internet und Facebook denn vor allem genutzt? Richtig. Für Freizeitgestaltung und Konsum, mehr oder weniger fest in den Händen jener, welche darin das neue Werbemittel sehen.

Wie gesagt: Viel mehr als die Tatsache, dass Politiker heute tatsächlich meist Lobbyisten sind und Medien manipulierbare Vehikel wirtschaftlich motivierter Trends, hat mich in diesen Jahren die Schnelligkeit überrascht, mit welcher der Detailhandel sein Bild von der eigenen Kundschaft korrigierte – und mich verunsichert selbst, dass ich nicht mit letzter Sicherheit sagen kann, wie stark er damit daneben liegt. Ganz bestimmt aber sinkt die Vielfalt und das Angebot der goldenen Mitte – dort, wo vernünftige Qualität zu einem Preis verkauft wird, der die Ware nicht billig macht, sondern einfach preiswert, weil der Gegenwert stimmt.