Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Kopf und Bauch - II

∞  23 Oktober 2009, 21:44

Vertrauen ist ein Bauchgefühl. Lernen wir jemanden kennen, so mag der Verstand eine gewisse Selektion anbieten, der Kopf etwas sagen wollen – aber wir verlassen uns auf “die innere Stimme”, den Bauch. Im Zweifel scheint er meist stärker zu sein, und die meisten werden wohl sagen, dass mit die besten Entscheidungen ihres Lebens darauf beruhen, dass man diesem Gefühl vertraut hat.

Ich kenne jemanden, der auf jeden Fall einen grossen Mann heiraten wollte, der gut tanzen kann. Gefunden hat sie einen kleinen Appenzeller mit zwei liebenswert linken Beinen. Der Bauch hat entschieden (wenn Sie jetzt sagen mögen, Sie hofften doch eher, es wäre das Herz gewesen, dann antworte ich: “Keine Spitzfindigkeiten, bitte”).

Und wer hat nicht schon ein dargebotenes Glück im Kopf erst abgewehrt, weil man dachte, das könne nicht für einen bestimmt sein, um sich dann doch davon einnehmen zu lassen?
Wobei: Ist es wirklich ein Vertrauen? Ist es nicht viel mehr ein Nicht-anders-können? Und sind Menschen, deren Kopf ihnen nicht erlaubt, nach dem Bauch zu gehen, schlicht “arm dran”? Oder ist es ganz anders, und sehr oft so, dass wir zwar “wissen”, was uns gut täte, was falsch läuft, und doch handeln wir nicht danach? Wir sagen: “Ich weiss”, und tun doch das falsche. Wie eh und je. Es kommt uns vor, als würden wir stets nach den gleichen Mustern funktionieren. Wir “können uns nicht ändern”, sagen wir, glauben wir, meinen wir?
Wenn wir unglücklich sind, Mechanismen in uns erkennen, mit denen wir uns schaden, und doch gelingt es uns nicht, diese Abfolgen aufzubrechen, zu unterbinden, das Verhalten zu ändern – dann könnten wir verrückt werden und mutlos. Und mit uns, was uns dann fast noch bedrohlicher erscheint, diejenigen, die bisher nicht müde wurden, uns zu raten, zu unterstützen, zu begleiten.
Ja, warum nur ist es oft so, dass wir zwar in lichten Momenten erkennen, dass uns etwas nicht gut tut, dass ein bestimmtes Verhalten immer in den gleichen Misstritt führt, und diesen Schritt dann doch immer wieder machen?
Der Bauch will das, was er kennt, er sorgt für die Geborgenheit, er bewahrt das Bekannte, er sichert Identität. Und so bestätigt er sich auch gern einmal, dass etwas zum Kotzen ist. (Entschuldigung).

Unser Bauch, im hier verstandenen Sinn, ist nicht immer der Freund unserer Seele. Nicht selten neigen wir zu seelischer Bulimie – wir fressen Emotion und spucken sie dann aus. Wir sind masslos in der Kompensation jener Empfindungen, die wir glauben, zu vermissen – und in ihnen vermuten wir die mögliche Behebung eines Mangels, den wir in uns ausmachen. Und wenn wir etwas vermissen, und das akzeptieren, so tun wir es nur scheinbar und missbrauchen eine daraus sich strickende Form von Selbstmitleid als inneren Beweis dafür, dass uns etwas fehlt, das wir aber nicht verdienen. Wir können ganz schön kompliziert sein im Umgang mit uns selbst.

In uns ruhen unzählige Scheinwahrheiten, an die wir Bedingungen gehängt haben. Ich würde das ändern können, wenn…

Warum ist es so schwierig, falsch gelerntes Bauchempfinden in ein neues Bewusstsein zu verwandeln und dadurch abzulegen? Warum können wir zwar verstehen, was ein gut gemeinter Rat sagt, der uns von etwas frei machen will, wobei wir durchaus ehrlich glauben, verstanden zu haben – und unser Handeln wischt das wieder vom Tisch – oder wir vermögen die innere Haltung nicht wirklich zu ändern?

Ich glaube, dass ein wesentliches Element eines religiösen Erweckungserlebnisses, eines Aufwachens, wie es Buddhisten umschreiben, darin liegt, dass eine neue Kraft an diese Stelle in uns tritt, die für alles Negative in uns eine zementierende Antwort hatte: Der Mensch wird neu und darf neue Erfahrungen machen, die nichts mit jenen Verhaltensmustern zu tun haben, die der Mensch immer dann sich antrainiert hat, während vielen Jahren vielleicht, oder prägend unbewusst als kleines Kind, eben immer dann, wenn es ihm an Unterstützung und Selbstbewusstsein mangelte und es niemanden gab, der ihn bestärkt hätte in seinem offenen liebevollen Blick auf sich selbst.

Und wenn da kein Gott und kein Guru ist, der sich jetzt genau mich heraus pickt und mir so gehörig auf die Pelle rückt, dass ich einfach gar nicht anders kann, als einzusehen, dass ich einzigartig bin?
Ein Ansatz, bevor Sie als Leser wie ich als Schreiber erschöpft die Augäpfel schliesen und die Hirnlappen zusammen falten:

Tummelfelder, auf denen sich Hirn und Bauch begegnen sind:


Die Erwartungen.


Stellen Sie sich vor, Sie jagen einen Schatz. Und den gibt es gar nicht. Und von dem Moment an, wo sie DARAN glauben, wird alles einfacher. Sie brauchen sich nicht mal zu sagen, dass es diesen Schatz oder andere sagenhafte verschlossene Truhen nicht gibt. Es reicht vielleicht, wenn Sie vermuten, dass darin auch nicht das zu finden ist, wonach wir wirklich streben möchten:
Nicht die Erfüllung unserer Wünsche, sondern die Freiheit, sie ablegen zu können.
Das müssen Sie und ich gar nicht GLAUBEN. Ich behaupte, dass wir es WISSEN. Oder wüssten.
Und dann könnten wir gespannt sein, zu sehen, was sich dann uns zeigen mag. Im Kopf und im Bauch. Ganz entspannt.


Nachtrag, 24.10.09 00:45
Wie ich sehe, ist der Titel schon mal verwendet worden.
Vielleicht allgemein interessant, was mir dazu früher schon mal eingefallen ist.