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Klein und Gross in grossen Problemen

∞  22 März 2013, 13:13

Europa ist nie wirklich eine Idee geworden. Die EU ist ein wirtschaftlicher Zweckverbund geblieben. Politiker haben nie wirklich auf einen Staatenbund hin gearbeitet – und schlecht gemanagt wurde der Ein- und Verkaufsverbund auch noch.

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Die Schweiz solle sich mit ihrer direktdemokratischen Kultur und dem Sinn für Föderalismus in die EU einbringen und könne da viel bewirken, zumal sie genau so wie alle anderen Mitgliedstatten eine Stimme haben würde, so hiess es, und so stellten es sich die EU-freundlich gesinnten Schweizer, wie auch ich grundsätzliche einer war, uns das auch gerne vor. Die Schwierigkeiten, einen Sonderweg zu beschreiten und in bilateralen Vertragsverhandlungen gangbare Lösungen zu finden, im Widerpart zu so vielen Vertragsparteien mit so grosser Wirtschaftsmacht, sind offensichtlich – und nachvollziehbar. Wenn uns dabei manchmal das Gefühl beschleicht, von einem übermächtigen Gegner an die Wand gedrückt zu werden, ist das bestimmt auch die Folge dieser schon sehr speziellen Ausgangslage für Verhandlungen.

Dennoch sah ich in mancher sturer Verweigerungshaltung diesseits der Grenzen immer auch den Reflex des etwas komplexbeladenen Kleinen, der den Teufel lieber vorbeugend schon mal an die Wand malt. Dass ein Beitritt für mich nie ein Thema war, hatte schlicht damit zu tun, dass ich mir nicht vorstellen konnte – und heute erst recht nicht vorstellen kann, unsere direktdemokratischen Grundrechte aufzugeben, um EU-konform zu werden. Und heute sehen wir darin erst recht ein Sinnbild für die tiefen Mängel im Grundkonstrukt der EU: Sie ist nie mehr geworden als ein grosser gemeinsamer Wirtschaftsraum mit gemeinsamer Währung – und sie hat sich nie in eine Staatengemeinschaft mit demokratisch wachsenden Führungs- und Entscheidungsebenen gewandelt – und daran ist auch jede Absicherung der Währung gegen Turbulenzen und die Durchsetzung von Verschuldungslimiten gescheitert: Es fehlte schlicht an allgemein verbindlichen Durchsetzungsmechanismen – denn in der letzten Konsequenz gibt es bis heute nur das Druckmittel des wirtschaftlichen Ausschlusses, der Verknappung oder Kappung von Wirtschaftsleistungen – und diese werden in keinem konkreten Fall von demokratischer Legitimation begleitet, sondern sind der Ausdruck eines Krisenmanagements, bei dem die wenigsten Bürger eines EU-Mitgliedlandes wissen dürften, welche Instanz und Person in letzter Konsequenz denn eine Massnahme durchsetzt – und zu verantworten hat -und gegenüber wem? Die EZB, ein EU-Kommissar, die Troika, der deutsche Finanzminister?

Alle Staaten agieren so gut wie möglich in allen Entscheidungsfragen nach den Interessen des eigenen Landes – und denken dabei notfalls auch sehr kurzfristig – und ganz sicher in den Landesgrenzen. Europa als Staatenbund ist eine Fiktion geblieben – und nurmehr nur noch eine Krisengemeinschaft. Werden solche Gebilde aber nicht zu Gemeinschaften, in denen sich deren Gestaltung demokratisch aus sich heraus entwickelt, dann regiert schlussendlich der Stärkere – ohne das Bewusstsein, bei nächster Gelegenheit zu den Schwächeren, den Unterliegenden gehören zu können: Demokratie ist der Respekt vor der Minderheit, zu der man schon bald selbst gehören könnte. Es ist oder wäre etwas anderes als die wirtschaftliche Vernunft, an die man gegenüber den Deutschen appelliert, auf dass sie ihren Exportüberschuss steuernd einschränken mögen und dergleichen mehr:

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Alle diese Entscheide haben mit Demokratie rein gar nichts zu tun. Sie sind Wirtschaftspolitik, exektuive Folge eines Versäumnisses: Die EU hat auf dem Weg zu einer Staatengemeinschaft beim Geldverdienen Halt gemacht und sich von da aus nicht mehr weiter entwickelt. Und das EU-Parlament? Kennen Sie Ihre Volksvertreter in Brüssel? Liessen Sie sich von einem niederländischen Parlamentarier der EU vorrechnen, welche Steuern sie bezahlen sollten?

Nein, die EU ist ein Wunsch. Es gibt noch nicht mal eine Idee. Unter dem Druck, dem sie nun ausgesetzt ist, ist ganz bestimmt keine solche zu erwarten. In der Not dominiert der Stärkere, und die Kleinen haben den bitteren Beigeschmack aufgezwungener “Lösungen” zu verdauen. Ohne die Chance, durch eine Abwertung einer eigenen Währung als Volkswirtschaft einen Neuanfang starten zu können, bleibt nur das Siechtum. Und neue Grenzen. In Köpfen und Herzen.