Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Kind, wir kennen den rechten Weg...

∞  31 Mai 2009, 21:21

Ich bin in einem älteren Artikel, der zwei neue Werke über eine gestorbene Geistesgrösse behandelte, auf eben dessen Geschichte gestossen (nicht zum ersten Mal), aber die geradezu absurde Verlogenheit in dieser dichten Form öffnet in mir eine Schleuse:

Ich darf gar nicht in Gedanken tiefer dringen, was es bedeutet haben muss, in diesem Umfeld zum Mann zu werden…

Der junge Internatsschüler hat homoerotische Veranlagungen. Wie man darauf vor etwa 85 Jahren in diesem Fall gekommen ist, weiss ich nicht, aber klar ist, dass diese Neigungen korrigiert werden müssen. Der Psychiater, Spezialist für “Nerven- und Gemütskrankheiten” weiss Rat, so dass der Schulleiter dem Vater berichten kann, er wolle die abnormen Triebe seines Jungen “aushungern”.
Helfen soll viel Sport, Ruhemöglichkeit am Tage und allein Schlafen, etc.
In diesem “etc.” dürften leider keine geistreicheren Vorschläge mehr zu vermuten sein.

Dieser Schriftverkehr über die abnormen Triebe findet zwischen zwei Männern statt, die beide selber verkappte Homoerotiker waren. Philipp Gut, der Verfasser des Artikels, sieht darin eine Ironie. Für mich ist dies nur einfach tragisch, ein Blick in eine stumme, kalte Hölle, die in allen drei Männern tobt und im Jungen nur einfach den grössten Schaden anrichten dürfte. Denn die Verlogenheit einer Erziehung vermag ein Kind zu spüren, wenn es sich ihr auch nicht entziehen kann…

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Die Rede ist hier vom Schüler Golo Mann, und von einem Schreiben seines Schulleiters Kurt Hahn an seinen Vater Thomas Mann.

Der Artikel “Sexuelle Befreiung in Zürich” von Philipp Gut ist in der Printausgabe der Weltwoche, Nr. 12.09, Seite 62, erschienen.

Anlass dazu waren zwei neue Bücher:
Tilmann Lahme:
Golo Mann
S. Fischer. 551 S., CHF 42.90
Golo Mann:
“Mann muss über sich selbst schreiben”.
Erzählungen, Familienportraits, Essays.
S. Fischer. 271 S., CHF 34.90