Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Kein Krieg, keine Ideologie, keine Idee, viel Markt

∞  26 April 2014, 22:32

Vor hundert Jahren ist der erste Weltkrieg los getreten worden. Warum ich gerade heute darauf komme, müssen Sie mich nicht fragen. Was das mit der Feststellung zu tun hat, dass der Kapitalismus seit dem Mauerfall die Welt nicht wirklich besser gemacht hat, eigentlich auch nicht. Peinlich ist mir das dennoch, immer wieder, Tag für Tag.

Und ich spüre eine Diskrepanz der Empfindungen zwischen mir und – zum Beispiel – der Altenrunde bei Maischberger letzthin, in welcher der altgediente SPD-Politiker Hans-Jochen Vogel eindringlich darauf hinwies, dass seine Generation den (zweiten) Weltkrieg mit erlebt habe und man aus dieser Warte den Frieden in Europa nie werde als selbstverständlich gegeben annehmen dürfe. Das war auf die Zäuseleien in der Ukraine gemünzt – und auf die für ihn erschreckend leichtsinnig verschärfte Rhetorik einerseits und die Laschheit am anderen Ende.

Womit ich nicht beim ersten Weltkrieg ankomme, sondern bei der Frage, wie denn der Frieden in Europa tatsächlich zu sichern wäre. Ich meine da eher den sozialen Frieden, für den die EU das eine Zauberwort parat hält: Beitritt. Das wird Europa nicht ruhiger machen, davon sind nicht nur in der Schweiz die Mehrzahl der Bürger überzeugt.

Und die Hoffnung ist naiv: Dass wir uns nämlich tatsächlich hundert Jahre zurück erinnern und feststellen: Diesen Horror, diese Grausamkeit, diesen Krieg wollen wir nie, nie mehr. Und wir verteidigen Alternativen um jeden Preis. Nur müsste man sich bei diesen Alternativen einig sein. Die einzige Einigkeit, die wir haben, liegt im Wörtchen “Markt”. Wir lassen andere teilhaben – und opfern die Selbstbestimmung des politischen Menschen. Wir machen ihn zum Wirtschaftsfaktor – und als solcher soll er konusmieren. Politisiert wird anderswo – und nicht unbedingt in den Parlamenten. Über 300 Lobbyisten wandeln in den Gängen des Schweizer Parlaments – mit eigenem Zutritts- und Legitimationssystem. Nicht selten formulieren sie die Anträge für die überforderten gestressten Parlamentarier gleich selbst aus. Und anderswo ist es in keiner Weise besser, im Gegenteil. Weltweit kontrolliert werden wir je länger je mehr vom Lobbyismus der Finanzindustrie, und nichts bewegt sich so leicht um die Welt wie Geld. Im Hunderstelsekundentakt. Quo vadis, Welt? Und was ist ein Europäer?

Bis heute kann mir niemand erklären, was das ist, wenn er sich einen Europäer nennt. An was glaubt er wirklich? Und wer verteidigt die Ideale, die es nicht wirklich gibt? Unter was scharen wir uns denn da? Sicher nicht unter einer Fahne (Nationalismus!), unter keiner Ideologie (das ist links!), wir orientieren uns an keiner Religion (Kinderschänder!). Wir haben nur den Markt. Und uns selbst in unserer Orientierungslosigkeit.