Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Kämpfer fernab von Olympia

∞  24 Februar 2010, 20:53

Es ist Olympia. Wir bewundern heroische Kämpfe um wichtige Siege, wir wollen Helden, und wir bekommen sie ja auch. Tragisches und Glückliches, reduziert auf die künstliche Wichtigkeit einer Sportveranstaltung, aufgeladen mit Werten an Aufmerksamkeit und Anerkennung, werden “Ereignisse” von der Flimmerkiste über uns ausgegossen, so dass wir unser eigenes Leben wie anhalten. Ganze Familien essen plötzlich vor dem TV, obwohl das doch eigentlich immer Tabu war.
Wir fiebern mit. In der Tat ist dieser Zustand ein wenig fiebrig, und er bedeutet wie jede Sportveranstaltung, bei der wir unser Herz und unsere Sympathie an ein Team hängen, an einen Sympathieträger, einen Landsmann, nur eine Entspannung vom eigenen Alltag, eine Unterhaltung und allenfalls ein bisschen Motivation: Es ist vieles möglich.

Derweil kann man ganz bestimmt auch heute abend durch irgend ein Dorf der Schweiz spazieren, und es ist sehr still. Menschenleere Strassen. Die Menschen schlafen nicht. Aber sie sind für sich, hocken in ihren Höhlen und es ist niemand da, der wirklich mit ihnen in Verbindung steht. Für die Aussenwelt sind sie vielleicht ein beleuchtetes Fenster an einer Hausfassade oder eine Rauchschwade im Kamin.
Sind wir gesund, schätzen wir “diese Privatsphäre”; wir nennen das gar Lebensqualität. Und vielleicht ist es ja sogar Lebensweisheit, bedenkt man, dass man immer alleine lebt und auch alleine stirbt. Der eigene Weg ist in letzter Konsequenz nie teilbar. Und so sind die wirklich heroischen Kämpfer wohl hinter solchen Fenstern zu finden:
Viele unter uns sind krank, müssen Tag für Tag ins Ungewisse blicken, sind müde, ratlos, hilflos. Ist man dann auch noch allein, kann das sehr, sehr hart sein. Jede Entscheidung musst du selber treffen. Das gilt immer, ich weiss. Aber es ist auch niemand da, der sie begleitet. Und es wird so was wie ein Vita-Parcour bestritten, vom Hausarzt zum Spezialisten, vom Physio zum Heilpraktiker und zurück. Jeder konzentriert sich darauf, der Vernunft zu folgen und der fachliche Rat ist womöglich versichert und fehlt daher nicht. “Als nächstes machen wir das und dann jenes.” Und der einsame Patient, der behandelt wird? Er wünschte sich vielleicht genau das, was wirklich schwer zu bekommen ist: Begleitung. Zeit. Mitgefühl.
Unser Gesundheitswesen aber scheint darauf trainiert zu sein, alles zu tun, dass es gar nicht dazu kommt. Statt wirkliche Pflege gibt es länger als objektiv möglich eine scheinbare Lösung, eine Genesung. Oder zumindest eine Pille, welche physiologisch-funktional die richtige ist. Und vielleicht haben wir ja selbst jahrzehntelang so funktioniert: “Doc, ich habe ein Problem. Welche Pille muss ich reinschmeissen, damit ich morgen zum Kundenmeeting kann und übermorgen an den Hockeymatch?”

Ich denke also gerade mal eine Runde an einen Menschen, der zum ersten Mal in seinem Leben grundlegende Angst hat, wirklich seine Sicherheit zu verlieren, sein Zutrauen in das eigene Geschick, und im Moment wohl nur hofft, schlafen zu können. Der Schlaf ist der beste Doktor in diesen Zeiten. Er spendet Vergessen oder wenigstens Aufschub im Sorgen – und ein wenig Kraft lässt er auch zurück, wenn er beim ersten Grau des Morgens schon aus dem Zimmer flieht. Aber eben nur ein ganz kleines bisschen Kraft.