Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Information in Krisenlagen ist immer schwierig

∞  13 März 2011, 15:08

Die Kunst, in Krisenlagen ausgewogen, kompetent und rechtzeitig zu informieren, ist eines der grössten Herausforderungen in jedem Katastrophenfall.


In Japan herrscht unbeschreibliches Chaos und Verwirrung. Immer wieder ist die Kritik zu vernehmen, die Bevölkerung würde durch die Regierung unzureichend informiert.

Nun, jeder, der in einem Krisenstab einer Gemeinde nur schon mal eine ganz harmlose Sandkastenübung miterlebte, konnte da schon ahnen, dass die Information der Bevölkerung eine der grössten und schwierigsten Herausforderungen darstellt, die es zu bewältigen gibt. Dabei ist das Problem auf verschiedenen Ebenen akut:

Die Nachrichtenbeschaffung IST schwierig. Die Informationen können ganz fehlen, unvollständig oder auch falsch sein. Wie sehr das zutrifft, können Sie Alle ermessen, wenn Sie sich nur schon vergegenwärtigen, wie schwierig es ist, einen Notfall korrekt und vollständig zu melden, dass die Rettungsdienste sofort wissen, was wo wie geschehen ist. Aufregung, Panik, persönliche Betroffenheit und Angst sind allgegenwärtig.

Wer informiert wann wo und wie? Das ist eigentlich eine Frage der Hierarchie, die festgelegt sein dürfte. Im Ernstfall kann es aber schwer durchzuhalten sein. Es erfordert bei der Fülle an Anfragen verschiedenster Art enorm viel Disziplin. Und es werden Informationen aus ALLEN Quellen aufgegriffen und verbreitet, so dass unheimlich viel Energie mit Dementis und Berichtigungen verbraucht wird. Dieses Problem dürfte immer unterschätzt werden und führt im Katastrophenfall zur Auflösung von eigentlich vorab geplanten Abläufen.

Was geben wir weiter, was behalten wir (noch) für uns? Der Anspruch der Bevölkerung auf Information ist selbstverständlich, aber die Wirkung von Information muss abgewogen sein. Jede Panik soll unterbleiben, und es ist in der Tat eine ganz grosse Herausforderung, zwischen dem notwendigen Schutz durch zu ergreifende Vorsichtsmassnahmen einerseits und dem Umschlagen von Sorge in Panik abzuwägen. Die Presse muss dabei möglichst zum Verbündeten gemacht werden, als Partner, um der Bevölkerung Informationen UND Vertrauen zu vermitteln.

Alle diese Aspekte sind schon bei einer kleinen lokalen Katastrophe – zumindest über eine gewisse Zeit hinweg – eine grosse Aufgabe. Was wir hier in Japan aber vor uns haben, ist die wohl grösste Natur-Katastrophe, die je eine Regierung weltweit zu bewältigen hatte. Und alle Folgekrisen wie die Bedrohung durch beschädigte Atomkraftwerke stellen einen Ernstfall als Erstfall dar, in diesen Szenarien bisher nur auf Reisbrettern und in Planspielen vorgedacht – und dabei ganz bestimmt nicht so vernetzt und real vorausgesehen, wie sie nun geschehen. Die Informationen zu bündeln, sie zu bewerten und zu verbreiten, ist angesichts der Beschädigungen der Infrastruktur schon auf virtuellem Weg schwierig. Um so viel grösser ist die Aufgabe, in jeder nur möglichen Form überhaupt physisch zu den Menschen und den Unfallbrennpunkten durchzudringen.

Wir sollten also mit der Kritik an Regierungsstellen gerade jetzt sehr zurückhaltend sein und ihnen auch nicht voreilig die Unterdrückung von Information oder gar Vernebelungen vorwerfen. Es ist schlichtweg eine – gemessen an den verständlichen Ansprüchen – unmöglich zu bewältigende Situation.

Erlauben Sie mir hierzu noch eine Bemerkung:

Um so unerträglicher sind für mich persönlich die politischen Winkelzüge, mit denen das Ereignis bereits politisch instrumentalisiert wird. Die Protestmärsche der Bürger gegen Atomkraft sind zu verstehen – sie entsprechen der Grundangst der Bevölkerung vor dem mächtigen Naturgewaltpotential einer Energieform – und den unbeantworteten Fragen der Technik, und sei es auch nur betreffend der Endlagerungsfragen – ein Grund, warum ich selbst gegen einen hemmungslosen Ausbau der Kernenergie votiere.

Dennoch ist es für mich fast unerträglich, mit welcher Schnelligkeit und naseweisen Selbstverständlichkeit in Anbetracht der unklaren Nachrichtenlage bereits endgültige politische Schlüsse gezogen und entsprechende Entscheide gefordert werden. Während in Japan alles drunter und drüber geht, werfen hier Populisten Populisten vor, sie würden populistisch politisieren. Nach allen Richtungen wird mit Emotionen gespielt – und wenn es einen Rückschluss daraus gibt, dann den, dass wir Menschen ganz offensichtlich endgültig einen Stand erreicht haben, an dem wir die Folgen unserer aufgebauten Energie-Gewinnungssysteme nicht mehr zu kontrollieren vermögen. Das haben wir zwar nie vermocht, aber die Natur führt uns gerade vor, wie grundlegend wir darin Kontrollverlust hinnehmen müssen.
Kein Wort gegen Atomkraft ist dabei aber im heutigen Zeitpunkt angemessen, das nicht gleichzeitig den Verzicht auf ständiges wirtschaftliches Wachstum und unbegrenzte Mobilität erklärt. Wir alle leben ein Leben, mit dem wir – bisher unbewusst – das uns nun vorgeführte Risiko in Kauf nehmen.