Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


In meiner Ordnung ist Frieden

∞  12 März 2011, 20:57

Ich habe nicht alles. Aber alles ist gut. Und, wenn es denn sein soll, war es damit auch genug. Wer so in den Tag gehen kann – oder in die Nacht – lebt in Frieden.


Noch ein paar Tage, dann hat mich das Spital wieder. Die letzten Tage habe ich nicht gern voraus gedacht. Der nächste OP-Termin naht, und ich habe ihn gescheut. Ich kenne das Prozedere. Es dürfte gerne noch ein bisschen reibungsloser laufen als beim letzten Nierenstein. Und doch gibt es dafür keinerlei Garantien. Routine das alles, ich bin Fall Nr. xxx. Das ist einerseits beruhigend (ich bin nicht wirklich ein Problem) und gleichzeitig auch überhaupt kein Trost. Und ich lebe ja schon zwischen den Stühlen. Die Zeit ist lang gewesen seit dem letzten Eingriff. Ich lebe irgendwie auf Reserveschaltung, und es ist höchste Zeit, dass sich das ändert, dass ich mir auch selbst keinen Grund mehr gebe, Dinge zu vertagen. Anpacken will ich es, alles, endlich wieder. Nun fasse ich also meine Harnleiterschiene, Einbau nächste Woche, und dann…

Ich laufe über die Felder, es ist warm, der Frühling ist unaufhaltsam. Und das ist nun wirklich ein Trost. Ich denke zurück an den Moment, als ich heimfuhr vom Kontrollbesuch im Spital, und ich mich fragte, was denn gewesen wäre, hätte sich der Krebsverdacht doch konkretisiert.

Ich denke an die Erleichterung der Ärztin, dass sie mir gute Nachrichten hatte, und wie mich das berührt hat. Und dann war da dieser Moment, der mir, wenn ich ihn erinnere, immer neue, frische Ruhe schenkt. Ich fuhr also heim, und plötzlich fragte ich mich: Was wäre eigentlich gewesen, wenn die Nachricht negativ gewesen wäre? Ich hatte die Worte der Ärztin im Ohr: „Mitten im Leben; doch eigentlich fit; noch so viel vor Ihnen“.
Und ich fuhr so dahin und spürte: Und wenn es anders gekommen wäre, so dürfte ich auch sagen:
Es ist in Ordnung. Denn was ich erleben durfte, war so viel. Es gibt immer Dinge, die „fehlen“. Aber auch Erspartes gäbe es. Wer will und kann das schon wissen? Ich spürte eine tiefe Zufriedenheit und Dankbarkeit für alles, und da war kein Bedürfnis, meinen Gott anzurufen, und ihm zu versprechen, dass ich – da ich nun unbeschwert wäre – soooo viel tun würde, um diese Gnade zu verdienen. Ich wollte keinen neuen Vertrag, sondern bekam die Gewissheit, dass ich mein Ende einmal annehmen kann.

Die Gnade, die ich fühlte, war meine Gewissheit: Ich könnte gehen. Ohne Gram. Genau besehen, ist alles gut. Und das ist eine ganz grosse Befreiung, die ich Esel in den letzten Monaten fast wieder vergessen habe. Denn in der wirklichen Krise käme das wieder, diese Sicherheit. Denn dieser Gedanke hatte nichts zu tun mit dem guten Ausgang. Ich spürte, dass ich an dieser Pforte, die wir alle fürchten, keine Lebenswehmut hätte, die mich quälen würde. Vor Schmerzen fürchten kann ich mich trotzdem, der Weg zum Ende kann ja quälend sein, aber in allem bin ich geborgen im Gefühl, nichts erzwingen zu müssen. Ich kann im Zweifelsfall geschehen lassen. Und ganz bedeutend in dem Zusammenhang ist die Tatsache, dass ich eine Partnerin habe, die das versteht, die mich auch mit dieser Haltung begleiten könnte (zu dem Thema wird noch mehr zu blogge sein).

Wie um alles in der Welt war es mit solchem Grundwissen, mit dieser Ruhe und Sicherheit möglich, dass ich mich in den letzten Wochen so vom Missmut vor den nächsten Eingriffen gefangen nehmen liess?

Es ist doch, wie so grundlegend erfahren, alles in Ordnung, weil ich ihm seine Ordnung lassen – und sogar nach ihr fragen kann. Immer wieder.


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