Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


In der Gewalt sind auch die Sieger Verlierer

∞  3 Mai 2011, 23:40

Recht und Unrecht – kann es das in einem Gewaltkonflikt überhaupt geben? Wir übertreten selbst Schwellen, wenn die Schwelle zu unserem Liebsten eingerissen wurde. Zu jeder Art von Krieg gehört, dass danach viel zu viele Menschen nicht mehr die sind, die sie waren.


Nochmal bin Laden. Der Mann lässt uns wirklich keine Ruhe. Wie oft haben wir Videobotschaften oder Bandnachrichten von ihm vorgespielt bekommen, in denen er dem Westen den Tod gewünscht hat? Und wie leicht fiel es, ihn nach gleichen Massstäben als Feind zu begreifen, verbunden mit der Beunruhigung, dass es einfach nicht möglich schien, den Mann auszuschalten.

Und nun ist er also tot. Es wird uns die nächsten Tage noch ein paar Mal ähnlich gehen: Je mehr an Details bekannt wird, um schwieriger wird es fallen, in dieser Tötung schlicht eine Erlösung zu sehen. Es ist eben eine Krux mit dem bösen Kerl, der sich an keine Spielregeln hält und den man am Ende mit gleichen Mitteln zur Strecke bringt. Schliesslich hat man selbst Blut an den Händen. Und es kann noch so viele Gründe dafür oder dagegen geben: Die Tatsache ist, dass sich Menschen in solchen Situationen ausserhalb ihrer Norm bewegen, losgelöst von allem, was ihrer Seele gut tun kann: So bald es einen Feind gibt, der jedes Mittel anzuwenden bereit ist, ist es mit dem Frieden wirklich vorbei. Auch mit dem eigenen. Die Rache – kann sie eine Befriedigung sein?

Und was ist mit den Diskussionen um die Rechmtässigkeit dieser Aktion? Auf stern.de [via mycomfor] wird aufgelistet, mit welchen völkerrechtlichen Argumenten man die Tötung rechtfertigen kann – oder ablehnen muss. Liest man das, bleibt eines klar: Es ist eine Sackgasse, in der eine Theorie gesucht wird, um ein gebrochenes Tabu zu rechtfertigen. Und es ist die gleiche Krux, die jeden einholt, der sich mit Gewalt gegen Gewalt wehrt. Es gibt jenseits von jedem Anspruch auf Selbstverteidigung Schwellen, über die wir treten, um nicht mehr, nie mehr der gleiche zu sein wie zuvor. Das sagt jemand, der bewusst Militärdienst geleistet hat, weil er weiss, dass er seine Liebsten auch mit Gewalt verteidigen würde. Auch ich wäre ein Kandidat für diese Schwelle.

Es spielt auch keine Rolle, ob man im Angriff eine Aggression sieht, die weit über den Verteidigungsanspruch der Amerikaner hinaus geht. Das sind alles Schattengefechte, die den Konflikt um die zivilistorische Rechtfertigung einer Staatsmacht nicht auflösen. Es hätte wohl nur einen Weg aus diesem Dilemma gegeben:
Wenn der amerikanische Präsident nach 9/11 eine Rede gehalten hätte, in der er die Verfolgung der Schuldigen geschworen hätte, gleichzeitig aber die Grösse gezeigt und vorgelebt hätte, darauf hinzuweisen, dass unter all den Toten Menschen aller Glaubensrichtungen waren, auch viele Muslime, und dass die Welt mit Amerika trauere – und gleichzeitig aufgerufen sei, eine solche Tat zu ächten – und sich im Kampf gegen jede Intoleranz zu einen.

Aber es ist nicht nur so, dass der Prasident der USA auch anders als G.W. Bush hätte heissen können – eine solche Rede wäre auch dann nicht möglich gewesen, denn sie hätte eine Widerwahl verunmöglicht. Die USA wurde erschüttert – mit einer fliegend herumirrenden Regierung, einem angegriffenen Pentagon und einem unbeschreiblichen Gewaltakt gegen das Zentrum von New York – das sprengte jeden Rahmen und brach alle Dämme moralischer Verantwortung zur Mässigung. Es war einfach zuviel und spielte genau jenen in die Hände, die nichts anderes wollten als Destabilisation. Und so werden wir immer wieder einen Grund finden, unseren verletzten Stolz und die Angriffe auf unsere Integrität mit dem Anspruch auf Gerechtigkeit moralisch zu verurteilen, den Gegenschlag dabei ausdrücklich einschliessend – mit genügend Zeit und Raum, in die Schritte der im Grunde immer Mächtigeren auch die entsprechenden wirtschaftlichen Interessen mit hinein zu packen. Und dabei wird dann die Beschönigung und Wahrheitsbeugung eingesetzt wie eh und je. Wir bekommen auch jetzt viel mehr Bilder geliefert als in früheren ähnlichen Fällen. Zur Lüge taugen sie genau so. Wahrscheinlich wird eine Lüge sogar verlockender, denn nichts ist so stark wie die Sprache der Bilder.