Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Immer vorwärts bis zum Bruch

∞  28 Januar 2013, 17:09

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Unser Mantra ist Wachstum. Jede Generation sagt von sich, es ginge ihr so gut wie keiner zuvor. Mehr Besitz, mehr Konsum. Und genau so ist unser Bild von unserem Leben.

Unsere Ziele reden immer vom nächsten Höher, Weiter, Grösser. Alles ist darauf ausgelegt, den Moment, in dem dies zur Illusion wird, hinaus zu schieben. So lange wie möglich Zielgruppe sein, im Mittelpunkt des Räderwerks stehen. Mit drehen oder gedreht werden. Leben – das scheint ein Prozess der Steigerung, der Expansion zu sein.

Für diese seine Ziele bildet der Mensch seine Eigenschaften aus. Persönlichkeit aber gewinnt er mit seinen Brüchen. Denn dieses oben beschriebene Leben ist Fiktion, ist nie das Ende. Es ist immer nur vorläufig. Leben wir so, ist “es” unser Grösstes, so fallen wir früher oder später ins Bodenlose.

Der Chirurg hat eines Tages seine letzte Operation. Der Opernsänger sein letztes grosse Solo, der Spitzensportler den letzten Wettkampf. Der Chef die letzte Geschäftsleitersitzung. Die Hebamme die letzte Geburt.

Und dieses Letzte ist ein Ende, das zu einem Leben gehört, das nur Vorläufiges beinhalten kann.
Denn Persönlichkeit statt Eigenschaft, Haltung statt Wille, Würde statt Ehre wird durch den Umgang mit seinen Brüchen erworben. Am Ende jeder Potenz steht die Enttäuschung. Am Schluss bleiben uns Bilder und Erinnerungen. Und unser Blick darauf: Wie ordne ich die Dinge ein, die nicht mehr sind? Wie blicke ich auf das, was bleibt? Wie blieb ich im Erfolg? Was gehört zu mir, das von all diesen Dingen unabhängig bleibt?

Alle führen ein Leben, bis das Leben sie führt. Die wahre Kunst ist es wohl, dies annehmen, ja begrüssen zu können, wenn es geschieht.