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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Im Frack in den Himmel - das waren noch Zeiten

∞  17 November 2008, 21:15

Gastbeitrag

Um diese Jahreszeit, vor wenigen Jahren, ich glaube, es war 2004, füllte eine neue CD die Regale bei Hug und Ex-Libris, zierten neue Plakate die Wände bei SBB und Migros. Bo Katzman und sein Chor waren zurück, wie sie dieses Jahr zurück kommen werden – nein, sie sind schon da. Damals hiess die CD im Gepäck und die Konzert-Tournee in den Veranstaltungs-Agenden “Heaven’s Gate”: Das Tor zum Himmel.

Und so sah das Cover aus…




Jeder, der einen Blick auf Plakat und CD-Cover wagt, wird unweigerlich von den göttlichen Strahlen eines blendenden Elysiums gelockt, die zwischen den geöffneten Flügeln einer spätromanischen Pforte nach draussen dringen.

Doch halt! Der Einlass wird verwehrt! Zu Füssen einer archaischen, steilen Treppe aus gefurchten, Moos- und Feuchtigkeit-überzogenen Steinquadern sitzt ein leger gekleideter Held in cooler Popidol-Pose. In seinen muskulösen, wenngleich schwielenlosen Händen hält er ein Schwert am Schaft, einem Hostienschrein ähnlich, vor sich. Das Schwert selbst ist nicht etwa juwelenbesetzt, sondern zeugt in seiner altertümlichen Schlichtheit, mit schmucklosem Blech beschlagen, von der edlen Gesinnung seines Herrn. Oder von dem gut ausgestatteten Fundus eines Kostümverleihs.

Bewacht der Held die Himmelspforte? Schlägt er den vermessenen Feind zurück, der ruchlos Einlass in den dionysischen Himmel des Gospels begehrt? Oder steht er mutig voranschreitenden Helden und Kämpfern für den Fortbestand des Gospels zur Seite?

Die aristokratisch geformte hohe Stirn über dem stählernen, wenngleich Vertrauen erweckenden Blick geneigt, den linken Mundwinkel zu einem einladenden, obschon leicht frivolen Lächeln nach unten gezogen, hockt der Held im Frack – ja, auf was denn?

Seine Kehrseite löst sich im sanften Photoshop-Übergang zum Wolkenhintergrund hin auf, knietief stecken seine Waden in fluffigem Cumulus.

Der Manschettenknöpfe entledigt, den Kragen lässig geöffnet und nach oben gestülpt, zeugt das leutselige Erscheinungsbild unseres Helden von seiner unmittelbaren Bereitschaft, die Himmelspforte mit seinem eigenen Blute zu verteidigen. Es bleibt ungewiss, ob er sich im Moment des Ankleidens zu einem Konzert befand, als ihn der Ruf zur Verteidigung ereilte, oder ob er im Anschluss an einen Auftritt mit bereits in Auflösung begriffenem Tenu kurz bei den Stufen vorbeischaute um nach dem Rechten zu sehen – und dabei zufällig auf einen Pressefotografen stiess.

Eine Schar schwarzgewandeter Gestalten mit rosa angestrahlten Schals schwebt im Hintergrund. Sanft in Wolken eingehüllt, die Blicke erwartungsvoll, die Münder geschlossen, lassen Sie den Betrachter fragen: Haben sie es bereits geschafft? Sind sie bereits der elysischen Verzückung jenseits der Pforte teilhaftig? Doch warum sind sie dann im Schweigen erstarrt? Oder gehören sie zu den zurückgeschlagenen Eindringlingen, die an den Prüfungen scheitern mussten? Worin mussten sie sich als Einlass-Begehrende prüfen lassen – im Schwertkampf? Oder mussten sie gar vorsingen?

Letztlich bleibt die Frage offen, wohin die Himmelspforte führt. Der Betrachter wird sich des Eindruckes nicht erwehren können, sämtlicher Sinne beraubt in ein endloses Nirwana zu stürzen. Keine fernen Ufer locken, keine nebulösen Konturen künden von den Verlockungen jenseits der Türflügel – blindes Vertrauen muss dem Einlass Begehrenden eigen sein.

Doch, was kann einem bei einem solch wundervollen Helden schon Schlimmes widerfahren? Den Hinterkopf ins sanfte Gegenlicht der göttlichen Strahlen getaucht, die tatsächlich so was wie einen Heiligenschein formen, scheint Bo Katzman letztlich eines verkünden zu wollen:

“Komm und vertraue Dich meiner Führung an.”

-

Nun, es funktionierte. Die Konzerte waren innert Tagen weitgehend ausverkauft. Und diesbezüglich hat sich nichts verändert.

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Gastbeitrag von Caro Nadler






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