Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Ideologie? Oder wenigstens Überzeugungen? Wie wir leben...

∞  9 März 2013, 17:44

Früher gab es Lebensstellungen und Ehen. Heute sehen wir Karriereabschnitte und Lebensabschnittspartner. Und wenig Überzeugung(en).

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Der das sagt, nachdenklich, und bedauernd, mit Beklemmung auf die Veränderungen in der Arbeitswelt blickend, ist einer aus unserer Zeit. Kein Looser, kein offenkundig Enttäuschter, sondern einer auf der Sonnenseite. Er hat alles, kann vieles, wird honoriert – und fühlt sich doch nicht wohl.

Die Beklemmung bezieht sich auf kein konkretes Erlebnis, kein bestürzendes Ereignis, das für sich genommen werden könnte. Was frösteln lässt, ist das Tagtägliche, die Härte, gegen die man sich gestern noch gewehrt hat und der man heute allenfalls noch mit dem Versuch begegnet, auf der “richtigen” Seite zu stehen – und die ist dort, wo die Härte nicht trifft. Oder nicht so sehr. Oder später. Wer kann schon vorausblicken? Wer mag es noch wollen?

Früher gab es voraussehbare Laufbahnen. Heute gibt es Möglichkeiten. Mehr Chancen, mehr Risiken. Der Einsatz aber wird immer höher, Egoismus wird Leistungsprinzip. Was muss man den Arbeitskollegen in die Augen sehen können, wenn man glaubt, sich auf der Durchreiche nach oben zu befinden? Wer mag umgekehrt auf Fairness hoffen, wenn er sich schon im Fahrstuhl nach unten glaubt? Heute werden Urteile lange geplant und möglichst knapp kommuniziert. Es gibt Chefs, die damit vorankommen wollen, dass sie auf möglichst wenig Papieren ihre verbindliche Unterschrift setzen müssen. Haften soll nur bleiben, dass nichts anzulasten ist. Und es gibt die Chefs, von denen man fast nur die Unterschriften kennt. Die entscheiden, aber aus höherer Warte, mit Distanz, mit ausgedrücktem Bedauern, aber möglichst nur auf Papier. Auch die Floskeln sind standardisiert, und damit ist dann der Fairness genüge getan. Das Austrittszeugnis ohne verklausulierte Abqualifikation soll schon als Fairnessbeweis gelten?

Wie funktionieren alle diese Welten, in denen so viel von der politischen Demokratie gesprochen wird, und die so sehr von Sachzwängen geprägt werden? Wir agieren wie ein Heer von Lämmern, sind bestens informiert aber in keiner Weise organisiert. Die Jungen kennen die Rebellion nicht mehr, haben wir letzthin an einem privaten Tisch formuliert. Die frühere Generation hat noch darüber diskutiert, ob es überhaupt eine Maturafeier geben soll, am Ende des Gymnasiums, als Mummenschanz der angepassten, “des Systems”, heute werden wohl schon an diesem Anlass Karrierechancen erörtert. Die Frage ist nicht, ob es Autoritäten gibt, sondern welche dem eigenen Werdegang den bestmöglichen Support versprechen.

Die Ideologien sind tot, und ethische Grundwerte ohne ideologischen Überbau sind nicht standhaft genug. Wer nur für sich interpretiert, was “Anstand” ist, wer weder politische noch religiöse Überzeugung dafür bemüht, dem fehlt auch das Gefühl, zusammen zu gehören: Nichts macht so mutlos, lässt Überzeugungen so beliebig erscheinen, wie die Erfahrung, dass “ehrlich”, “rechtschaffen” etc. längst nicht für alle Menschen das gleiche bedeuten – und es keinen Überbau gibt, der das für alle definiert.

Wir schustern uns Wahrheiten, die nur Lebensgrundlagen sind, Erfolgsrezepte für Karriere oder schlicht den Wunsch, in Ruhe gelassen zu werden. Und es wollen verdammt Viele einfach in Ruhe gelassen werden.

Es gibt den Satz, den man uns Bloggern mit Recht vornhalten kann:

Es ist viel leichter, für eine Überzeugung zu kämpfen, als nach ihr zu leben.”

Aber er gilt für uns Alle – sofern wir Satzteil 1 überhaupt noch anwenden können.