Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Ich Fremder in Zürichs Kreis 5

∞  2 Mai 2008, 17:57

Eigentlich wollte ich heute in Zürichs Kreis 5 ein bisschen den neuen Geist erfahren in diesem neuen Stadtteil, wie es heisst, der sich so rasend schnell und “hip” entwickelt. Und ich wollte ein bisschen das Gespür dafür bekommen, welche Mächte denn das neu gedachte Fussballstadion an seiner Verwirklichung hindern. Ich bin nicht sehr weit gekommen.

Ja, das Quartier hat einen Bauboom erfahren. Ja, die Gebäude sind neu, es mag viel Wohnraum gegeben haben, die Linien der Architektur sind geradlinig. Aber auch grosszügig, leicht, luftig?

Mir kommt der Ritter-Sport-Kalauer in den Sinn: Quadratisch, praktisch, gut. Es ist, als hätte der Technopark unzählige Wurmfortsätze geboren. Oder Blinddärme. Okay, sie werden nicht aufbrechen.

Es ist ja ganz in Ordnung. Aber eine Stadt konzipiert man nicht so leicht neu. Auch einen Stadtteil nicht. Nun, wahrscheinlich ist dieser Teil Zürichs auch nicht für mich gedacht worden. Der Ort, wo ich strande, zeigt das deutlich: Der Hauptsitz eines Anbieters von Unterhaltungselektronik und Computern, der seine Waren durch die Unterbindung des Zwischenhandels quasi direkt ab Importlager verkauft. Die Leute stehen Schlange. Fläzen sich in den dunklen Nischen, die in dem auch hier quadratischen Raum eigentlich keine sind. Der Andrang ist gross, der Rubel rollt ganz offensichtlich. Wer kommt, zieht ein Nümmerchen. Mit vorgestelltem Buchstaben. Je nach Grund Ihres Besuches, bitteschön. Sind Sie Selbstabholer, Besteller, brauchen Sie Beratung?
Das letzte ist eher ein Witz. Der “Showroom” ist nicht ernsthafter als solcher zu verstehen wie das Warenangebot in der Poststelle. Ach ja, von dort kommt ja auch das Konzept mit den Nümmerchen.
Fast kommt es einem tatsächlich vor wie das Lösliziehen an einer Tombola: Denn die Preise sind hier (nicht wie bei der Post) unverschämt billig. Ein Drittel unter den Listenpreisen der Markenprodukte im Fachgeschäft.

Ich kaufe trotzdem nichts. Ich muss vielmehr weg hier, von diesem Ort der lautlosen Konsum-Rituale. Da gibt es auf zehn Quadratmetern fünf Kids, die Dir jede Playstation erklären können – mit bleichem Gesicht, während draussen die Sonne scheint.
Nichts wie weg hier. Ich blinzle im hellen Licht – und finde mich kurz darauf in meinem Auto wieder. In der nächsten Kiste, wie alle andern auch. Verflixt nochmal, das Leben spielt sich anders ab. Hoffentlich. Auch wenn wir es mittlerweile wollen müssen. Sonst zieht es tatsächlich nur noch auf Bildschirmen vorbei.

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Nachtrag:
Warum ich die Firma und den Laden nicht nenne? Ich will Ihnen sagen, warum. Weil ich die grössten Kämpfe mit mir selber austrage. Ich verstehe das Konzept der Markenanbieter nicht. Sie vergeben nach dem Gesetz der Masse Distributionsrechte an Outlet-ähnliche Verkaufsketten, während sie Fachgeschäften Rabatt-Aktionen oder den Vertrieb anderer Marken verbieten wollen.
Beratung im Fachgeschäft, Kauf online oder im Maxi-Geschäft? Kein Wunder, findet sich im Fachgeschäft auch kein guter Verkäufer mehr. Selbst der Ambitionierteste dürfte mittlerweile resigniert haben und ein Gefühl dafür besitzen, wer sich nur die Informationen abholt, um dann anderswo online bestellen zu können. Ich schätze mal, er braucht im Schnitt 30 Sekunden, um das Déja-vu zu erkennen. Wer mag ihm da die Lustlosigkeit verübeln, auch wenn SIE die Person sind, die ihm wirklich eine Chance geben will?
Dummerweise haben mich heute solche Fachverkäufer so sehr mit ihrer schlechten Laune angesteckt, dass ich die Tastatur hier vielleicht gleich für was anderes verwende… Und Sie will ich nicht auch zu solchem Tun anstiften…

[Bildquelle: Projekt Martini-Areal, hlsarchitekten.ch ]

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